Pressestimmen
Die Kraft der Ideen
Der neue Senat sucht Formate, um die Demokratie in der Stadt zu stärken. Das ist überfällig. Beteiligung muss umfangreicher gedacht werden, als Berlin es bisher tut.
Der Tagesspiegel vom 17.01.2022 von Markus Dröge
Wenn es um die Zukunft der städtischen Demokratie geht, hat sich der neue Berliner Senat viel vorgenommen. Die Stadtentwicklung soll kooperativ gestaltet, Stadtteilkonferenzen und neue Bürger:innenbeiräte zu vielen Themen sollen eingerichtet und die Leitlinien für Bürgerbeteiligung weiterentwickelt werden. Letzteres vor allem zeigt: Da ist ein Suchprozess im Gange. Der ist wichtig und auch dringend nötig.
Doch reicht der Ansatz schon aus, um der allgemeinen Entfremdung zwischen Gremienpolitik und zersplitterter Stadtgesellschaft entgegenzuwirken? Selbst die jetzt geplanten Konzepte gehen doch immer noch von einer sehr traditionellen Beteiligungsidee aus. Der Staat bezieht bei der Entscheidungsumsetzung Bürger:innen ein – direkter zwar als früher üblich. Aber lässt er sich auch von ihnen einbeziehen? Ist er frühzeitig, sogar vorgelagert eigener Entscheidungen offen genug für deren Ideen, deren Impulse? Ist ihm bewusst, dass es nicht nur um Akzeptanz und Durchsetzung gehen sollte, sondern umgekehrt auch um Dazulernen und Veränderungsoffenheit?
40 Punkte in 100 Tagen
HARMONIE NACH PLAN Senat verkündet nach Klausur sein Programm – und betont, wie gut alles läuft
Der Tagesspiegel vom 17.01.2022
Bis 31. März will der Senat die Themen Wohnungsbau, Verkehrswende und Lehrerverbeamtung angehen. Ende Februar soll der Haushalt bis 2023 stehen. Zu Enteignung wurde bei der Klausur nichts beschlossen
Mit einem prall gefüllten und aus 40 Punkten bestehenden Vorhabenkatalog geht die aus SPD, Grünen und Linken bestehende Koalition in die ersten 100 Tage der Legislatur. Bis zum 31. März sollen insbesondere die Themen Wohnungsneubau, Verkehrswende und Lehrerverbeamtung angegangen werden. Auf der Agenda steht auch die Anhebung des Mindestlohns auf 13 Euro sowie die in der vergangenen Legislatur verschobene Änderung der Bauordnung. Ebenfalls geplant: Neustartprogramme für Wirtschaft und Kultur sowie die Schaffung der Voraussetzungen für eine mobile Polizeiwache am Kottbusser Tor.
So modern, so konservativ
Am Molkenmarkt prallen Städtebaukonzepte aufeinander. Entwürfe werden nun vorgestellt – und könnten verschiedener nicht sein
Der Tagesspiegel vom 16.01.2022 von Ralf Schönball und Teresa Roelcke
Das Projekt zählt zu den größten Umbauten der Innenstadt. Unweit des Fernsehturms, hinter dem Roten Rathaus, will der Senat am Molkenmarkt Hunderte Wohnungen schaffen, Platz für Restaurants, Cafés, Läden sowie Büros auf den Straßen der bisher autogerechten Stadt. Beton wird aufgerissen, neue Grünanlagen angelegt. Und es ist eines der ersten großen Vorhaben in der Stadtentwicklung , das Stilwillen und Doktrinen unter der umstrittenen neuen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt aufzeigen könnte.
„Für den Molkenmarkt streben wir eine kleinteilige Bebauung mit vielfältiger Nutzung und sehr guter Architektur an“, steht im Koalitionsvertrag. Das ist die Abkehr von der städtebaulichen Linie, wonach größere, auf landeseigene Gesellschaften zugeschnittene Blöcke Vorrang haben, munkelte man in politischen Kreisen: Ausdruck des Wechsels an der Spitze der Verwaltung, der Staffelübergabe der Linken an die SPD.
Respekt für das gewachsene Stadtbild
Weg mit den Scheuklappen: Petra Kahlfeldt steht für gestalterische Offenheit, harmonische Proportionen und lokale Traditionen. Genau das braucht Berlin!
Berliner Zeitung vom 15.01.2022 von Peter Dobrick
Am 13. Dezember erschien in der Architekturpublikation ARCH+ ein offener Brief, in dem Franziska Giffey und Raed Saleh aufgefordert wurden, die Stelle der Senatsbaudirektorin von einer Berufungskommission bestimmen zu lassen, an der „wichtige Akteure aus den Bereichen Architektur und Stadtentwicklung beteiligt werden“. Unterschrieben war der Brief von einer Anzahl am Berliner Baugeschehen − ob praktisch oder vermittelnd − Beteiligter.
Doch gerade die Besetzung der Exekutivebene der Staatssekretäre durch frei gewählte Politiker ist ein wichtiges demokratisches Korrektiv gegen Verfilzungs- und Begünstigungsstrukturen. Die Fachausschüsse der Koalitionsparteien sind bereits die legitimen Berufungskommissionen; ihre Aufgabe ist eine zügige Regierungsbildung und eine zeitnahe Besetzung der Senatsbaudirektion.
Baustelle Berlin
Die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt muss Berlin zukunftsfest machen – und: schöner! Eine Debatte ist entbrannt, ob sie die Richtige ist. Ein Weiter-so darf es nicht geben
Berliner Zeitung vom 15.01.2022 von Maritta Tkalec
Wie soll Berlin in zehn Jahren aussehen? Wenn die Sommer immer heißer werden und die Niederschläge immer weniger berechenbar? Wenn immer mehr alte Menschen – viel mehr Frauen als Männer übrigens – unterzubringen sind? Wenn die Großkaufhäuser pleite, die Büropaläste verwaist und Verbrennerautos ausgesperrt sein werden?
Den Großstädten, auch Berlin, steht eine Zeitenwende bevor. Doch der deutsche Städtebau erweckt nicht den Eindruck, als habe er das Unausweichliche verstanden. Klimagerechtes Bauen verlangt den Blick in südlichere Städte: Sonnenschutz, Verschattung, Grün, Kühlung möglichst ohne zusätzlichen Energieaufwand. Das sind andere Häuser als jene hierzulande modischen mit Glasfassaden, die sich wie Treibhäuser aufheizen und mit klimakatastrophalem Effekt gekühlt werden müssen. Außerdem gehen die Baumaterialien zur Neige: Ja, selbst der Sand ist bald alle. Man kann nicht mehr leichthin Häuser abreißen und überbauen, wie zum Beispiel im Berlin der Kaiserzeit alle 20 Jahre geschehen, weil sich die Bedürfnisse änderten. In den Jahren der Citywerdung Berlins nach der Reichsgründung 1871 verschwanden etwa die bürgerlichen Wohnhäuser aus der Stadtmitte; auf immer größeren Parzellen entstanden immer wuchtigere Bauten für Banken, Ministerien, Büros, Kaufhäuser. Das ist der Status quo. Die Digitalisierung macht ihm den Garaus. Das ist eine Chance! Endlich können wieder Menschen in der City wohnen. Aber dafür sind die vorhandenen Gebäude umzubauen.