Pressestimmen
Kritik an Zersägung von MITTELALTER-BOHLEN
Geschichtsverein schimpft in offenem Brief an Lederer
B.Z. vom 22.02.2022
Mitte - Die Zersägung des mittelalterlichen Bohlenwegs am Molkenmarkt hat harsche Kritik verursacht.
Erst vor vier Wochen waren die Reste der wohl ältesten Straßen Berlins aus dem Jahr 1238 als Sensationsfund präsentiert worden. Doch nun soll der historische Holzdamm einem Fahrbahn-Neubau weichen, die Arbeiten haben begonnen.
Offener Brief an Lederer: Autokratisch gegen Stadtinteressen
Nach dem Sägemassaker am 800 Jahre alten Bohlenweg am Molkenmarkt protestiert der Verein für die Geschichte Berlins beim Kultursenator. Der Wortlaut.
Von Maritta Adam-Tkalec am 21.02.2022
Die Zerstörung der 800 Jahre alten Holzstraße am Molkenmarkt hat allgemeines Entsetzen ausgelöst. Auch der Verein für die Geschichte Berlins, aktiv seit 1865, reagiert empört auf die Zerstörung des erst vor kurzem bei den archäologischen Grabungen entdeckten Denkmals aus der Entstehungszeit Berlins :
„Zerstörung ist der letzte aller Schritte und sollte erst nach Ausschöpfung sämtlicher Optionen und ausführlicher interdisziplinärer Beratung in Betracht gezogen werden!“, heißt es in einem Offenen Brief an den zuständigen Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Die Unterzeichner, Mitglieder des Vorstands des ältesten Berliner Geschichtsvereins, mit über 700 Mitgliedern eine der größten Berliner Kulturorganisationen, zeigen sich insbesondere irritiert, weil „diese Entscheidung der obersten Denkmalschutzbehörde zu keinem Zeitpunkt öffentlich zur Diskussion gestellt wurde, um zu eruieren, ob es innovative Möglichkeiten für einen Denkmalerhalt gegeben hätte“. Zudem richten sie Fragen an den Kultursenator.
Baumeister ohne Bauten
Der vor 250 Jahren geborene Friedrich Gilly war Vordenker der Moderne und hat dadurch die Architekturgeschichte geprägt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.02.2022 von Ulf Meyer
Als "größtes Genie im Baufache " galt Zeitgenossen in Preußen im ausgehenden 18. Jahrhundert Friedrich Gilly, dessen Werke den Klassizismus mit der Revolutionsarchitektur aus Frankreich verbanden, dem Land also, aus dem seine Familie hundert Jahre zuvor nach Preußen geflohen war. Obwohl Gilly schon im Alter von 28 Jahren starb und nur ein einziges kleines Bauwerk von ihm in ruinösem Zustand erhalten ist, ist der Architekt bis heute wirkmächtig. Gillys Entwurf für das Denkmal für Friedrich den Großen von 1796 nahm Debatten, die bis heute den Architekturdiskurs prägen, vorweg, und auch sein Verständnis von modernem Städtebau war bahnbrechend.
Friedrichs Vater David Gilly brachte seinen Sohn als jungen Mann 1788 von Pommern nach Berlin , wo er an der Akademie der bildenden Künste Architektur studierte. Zu seinen Lehrern gehörten Koryphäen wie Carl Gotthard Langhans und Johann Gottfried Schadow, die führenden Vertreter des frühen Neoklassizismus in Deutschland.
Wo ist denn hier die Posamentenabteilung?
Großstadt, Weltstadt, Karstadt: Am Hermannplatz in Berlin stand einst das größte und modernste Kaufhaus Europas. Bis heute ist es geblieben, was es schon im Eröffnungsjahr 1929 war - ein krisengeschüttelter Palast des gehobenen Konsums.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.02.2022 von Andreas Schlüter
Weiß heute noch jemand, was Posamenten sind? In den Dreißigerjahren hingegen hätte es im Berliner Warenhaus Karstadt am Hermannplatz die selbstverständliche Antwort gegeben: "Posamenten für Kleidung finden Sie im Erdgeschoss und die für Möbel im zweiten Stock." Und hätte jemand diese Frage damals vielleicht in der Putz- (erster Stock) oder Spielwarenabteilung (vierter Stock) gestellt, dann wäre es theoretisch möglich gewesen, dass ein Fräulein Stein die gewünschte Auskunft gegeben hätte. Drei Jahre arbeitete Fräulein Stein, ihr Vorname war Ingeborg, als Putzmacherin und Spielzeugverkäuferin bei Karstadt am Hermannplatz. Ein heute recht zerfleddertes Arbeitszeugnis bescheinigt ihr ein "einwandfreies persönliches Verhalten" sowie, dass " der Austritt erfolgt, da Fräulein Stein zur Landhilfe geht".
Auf der Suche nach Berlins verlorener Mitte
Berliner Morgenpost vom 13.02.2022 - von Uta Keseling
Drei Damen erinnern daran, was einmal war. „Victoria“ schwebt mit kupfergrünen Flügeln über Erdhügel, Müll und heruntergekommene Sozialwohnungsbauten. Der „Friede“ ihr gegenüber ist eine streng dreinschauende Dame mit Schwert und Kranz. Daneben konzentriert sich die „Geschichtsschreibung“ auf ihre marmorne Schreibtafel, die mit drei Jahreszahlen an die Befreiungskriege erinnert. 1813, 1814, 1815 waren mal identitätsstiftende Jahreszahlen in Europa. Mit schwarzem Filzstift hat jemand darunter gekritzelt: „Ich ficke diese Fotzen.“
Der widerliche Satz steht dort schon lange. Und ja, man kann darüber hinwegsehen. Aber vielleicht ist es genau das, was Berlin schon viel zu lange tut – darüber hinwegzusehen, was mit der Friedrichstraße eigentlich passiert. Und zwar nicht nur auf jenen 600 Metern Radschnellweg in der Mitte, Symbol grüner Verkehrspolitik oder auch Stadtzerstörung, je nach Lesart. Sondern auf den gesamten 3,3 Kilometern, vom Halleschen Tor in Kreuzberg bis zum Oranienburger Tor in Mitte. Auf dem Stadtplan liegt die Straße wie ein Thermometer im Häusermeer. Eine Straße wie ein Messinstrument des Seelenzustands der Stadt: Jeder Meter erzählt Berliner Geschichte, von Gründerzeit, Kriegen, Krisen, Teilung und Zusammenwachsen – und von gelungener und weniger gelungener Stadtplanung.