Mit dem ambitionierten Bauprojekt „Am Tacheles“ wird der schwierige Spagat zwischen Tradition und Moderne gewagt
Berliner Zeitung vom 11.12.2021 von Jörg Semsch

Auf einem der letzten großen Filetstücke in Berlins Mitte entsteht aktuell ein Bauprojekt der Superlative: Mit dem „Tacheles“ wird eine große städtebauliche Wunde der Nachkriegszeit geschlossen – und ein architektonisch ambitioniertes neues Wohn-, Büro- und Gewerbe-Quartier geschaffen, das sich an der Geschichte dieses Ortes orientiert: 1908 wurde an gleicher Stelle die Friedrichstraßenpassage eröffnet – eine luxuriöse Einkaufsmeile, die die Friedrichstraße mit der Oranienburger Straße verband. Doch die Passage stand von Beginn an unter keinem guten Stern: So kam es zu Pleiten und Umwidmungen, zu Schäden im zweiten Weltkrieg, zur Vernachlässigung während der DDR-Zeit und schließlich fast zum kompletten Abriss.

Erst eine Künstlerinitiative sicherte nach der Wende die letzten Relikte an der Oranienburger Straße und etablierte hier ein Kulturzentrum, das wie kaum ein anderes die Off-Szene im wiedervereinigten Berlin verkörperte. Damit war 2012 jedoch Schluss – das denkmalgeschützte Gebäude sowie die weitläufige Brache standen jahrelang als Spekulationsobjekt leer. Doch seit dem Neustart 2018 unter dem Projektentwickler pwr development wächst hier ein Gebäudeensemble in die Höhe, das spannende stadtplanerische Akzente setzt.

Denn nichts weniger als „kosmopolitische Architektur“ und „internationale Klasse“ verspricht das Bauvorhaben in der historischen Spandauer Vorstadt. Seit der Grundsteinlegung im September 2019 wachsen auf einer Fläche von 25.000 Quadratmetern sieben Wohnhäuser und drei Bürogebäude in die Höhe. Gleichzeitig soll hier urbanes Leben entstehen. Dafür sorgt unter anderem eine Flaniermeile zwischen Oranienburger Straße und Friedrichstraße, die Gewerberaum für einen großen Lebensmittelmarkt sowie für kleinere Geschäfte und gastronomische Betriebe bietet. Zum Verweilen laden auch die öffentlichen Plätze des Quartiers ein, so zum Beispiel der Aaron-Bernstein-Platz. Aufenthaltsqualität verströmen zudem 170 Bäume sowie Grünanlagen auf einer Fläche von 9.000 Quadratmetern. Ab Mitte 2022 ist der Bezug der ersten Gebäude geplant, die gesamte Fertigstellung ist für Mitte 2023 avisiert.

Architektonische Vielfalt, außergewöhnliche Fassaden und lässig-eleganter bis avantgardistischer Stil prägen alle Wohngebäude des Ensembles. Die Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron, die auch den Masterplan konzipierten, steuern drei Haustypen bei: Eine „neu interpretierte Gründerzeitarchitektur“ verkörpert „Vert“. Hier stehen organische Formen, wellenförmige Fassaden und runde Erker im Vordergrund. 46 Wohnungen mit 1-5 Zimmern sowie einer Fläche von 48 bis 182 Quadratmetern auf fünf Geschossen bieten vielseitige Grundrisse und allerbesten Wohnkomfort.

Offene Grundrisse, die nach eigenen Vorstellungen gestaltet werden können, finden sich im „Frame“. Eine Raumhöhe von 3,60 Meter, Wände und Decken aus Sichtbeton, Wärme verbreitende Schlossdielen sowie große Fenster vermitteln Loft-Feeling. Außergewöhnliche Hingucker sind originäre Kunstwerke, die in jedem der 17 Apartments eine Wand zieren.

Das dritte Objekt von Herzog & de Meuron namens „Oro“ bildet in der Oranienburger Straße den Eingang ins Quartier. Insbesondere durch die spitz zulaufende Formgebung und die rundbogenartigen Fenster ist dieses Gebäude unverwechselbar.

Die Architekten Brandlhuber+ und Muck Petzet stehen mit „Joux“ für einen „sinnlichen Purismus“. Die 18 Apartments sind geprägt durch klare Linien und ein avantgardistisches Konzept für die Wohnräume. Im Gegensatz zum Minimalismus im Inneren ist die Fassade weitaus verspielter: Marmor, getöntes Glas und Balkone in glänzendem Aluminium ergeben ein facettenreiches Gesamtbild.

Geometrische Fassaden sowie das Dreieck als gestalterisch prägendes Element prägen „Form³“ vom Berliner Büro Grüntuch Ernst Architekten. 36 Apartments mit 3-5 Zimmern in der Größe von 95 bis 330 Quadratmetern bieten zeitlos-eleganten Wohnraum. Für einen fließenden Übergang zwischen Innen und Außen sorgen raumhohe Fenster und großzügige, verglaste Loggien. Zu den weiteren Vorzügen des Quartiers zählen eine Lobby, eine Quartiers-App, ein Health Club and Spa, ein Concierge-Service, eine Tiefgarage, ein smartes Mobilitätskonzept und nicht zu vergessen: ein hauseigener Hundewaschplatz.

Mit dem internationalen Museum für Fotografie und Kunst Fotografiska kehrt die Kultur wieder zurück ins Tacheles. Jenseits dessen sind Kultur und Nightlife nur einen Katzensprung entfernt. Cafés, Bars, Restaurants, Galerien und Theater finden sich in direkter Nachbarschaft. Bis zum Hackeschen Markt, zur Museumsinsel oder zum Gendarmenmarkt ist es nur ein kleiner Spaziergang. Und wer zum Shopping zum Beispiel zum Ku’damm fahren möchte, ist ebenfalls bestens bedient: Straßenbahn und U-Bahn sind direkt vor der Tür, und bis zum S-Bahnhof Friedrichstraße sind es auch nur wenige Gehminuten.

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