Der Berliner FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja über die inneren Widersprüche von Rot-Grün-Rot – und „Bruchstellen“ zwischen den Koalitionären.
Berliner Morgenpost vom 08.11.2021 von Isabell Jürgens

Berlin.  Die Hoffnung der Berliner FDP, mit SPD und den Grünen Berlin regieren zu können, hat sich vorerst zerschlagen, inzwischen handelt Rot-Grün-Rot das neue Regierungsbündnis aus. Doch Sebastian Czaja, Vorsitzender der Berliner FDP-Fraktion, gibt den Traum von einer Ampelkoalition auch auf Landesebene nicht ganz verloren, wie er im Interview verrät.

Berliner Morgenpost: Vor knapp einem Monat hat die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einer Ampelkoalition eine Absage erteilt. Lag es an zu großen Differenzen?

Sebastian Czaja: Wir als FDP sind für einen Politikwechsel angetreten. Den konnten wir in den Sondierungsgesprächen durchaus herausarbeiten, auch was die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Grünen und den Freien Demokraten betraf. Aber am Ende haben die Grünen sich dafür entschieden, doch lieber die Linkspartei als Partner durchzusetzen. Da ging es nicht mehr um die Inhalte, sondern es ging um einen politischen Machtkampf zwischen SPD und Grünen – und der wurde klar entschieden.

Es lag also nicht an der relativen Ferne der FDP zu den Inhalten der Grünen?

Das, was wir vorher gesagt haben, haben wir auch in den Sondierungen gelebt. Das heißt, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und das bedeutet, dass man nicht 100 Prozent seiner Positionen, die in einem Wahlprogramm stehen, umsetzen kann. Das kann im Übrigen niemand der drei Partner. Man bewegt sich aufeinander zu, gleicht Positionen ab und findet eine gemeinsame Linie. Und da waren wir auf einem sehr guten Weg.

Auch mit den Grünen?
Ja, sogar in der Frage, wie können wir die Mieterinnen und Mieter besser schützen. Dazu hatten wir Verabredungen getroffen.

Nun wird es spannend, welche denn?
Ich bleibe dabei, dass wir natürlich jetzt auch nach den Sondierungsgesprächen die vereinbarte Vertraulichkeit wahren. Das ist der Umgang, den wir verabredet haben und ein neuer Stil von Politik, den wir wollten. Und deshalb halte ich mich auch nach wie vor daran. Wir hatten uns aber auch in Fragen der Bildungspolitik und der Wirtschaftspolitik sehr konkret und gut miteinander ausgetauscht und auch konkrete Lösungen erarbeitet.

Wenn es nicht an den Inhalten lag, woran dann?

Die Grünen haben irgendwann auf Totalverweigerung umgestellt und haben gesagt: Wir wollen nicht mit der FDP weiter verhandeln, egal wie sehr wir uns als Freie Demokraten noch zur Tischmitte und darüber hinaus bewegen. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ab einem gewissen Zeitpunkt bei den Grünen das Taktische stärker war als der Wille, eine Koalition im Sinne eines Ausgleichs der Interessen in der Stadt zu formen. Ihr Ziel war es, gegenüber der SPD ein Linksbündnis durchzusetzen. Und dass das anstrengend ist und holprig wird, das sehen wir an den aktuellen Koalitionsverhandlungen.

Gab es einen konkreten Auslöser, der dazu geführt hat, dass die Grünen das Gespräch mit Ihrer Partei so schnell beendet haben?

Es ist bis heute ja nicht nachvollziehbar, warum SPD und Grüne die historische Chance nicht wahrgenommen haben, gerade im Hinblick der Ampelentwicklungen auf Bundesebene und im Bundesrat. Die kommenden Herausforderungen sind immens. Eine Ampel auf Landes- und Bundesebene hätte dabei deutlich mehr erreichen können.

Wie meinen Sie das?

Wer sich die aktuelle Debatte anschaut, etwa zur Frage der Finanzierungsrisiken am BER, der wird jetzt schon zu dem Ergebnis kommen, dass es besser gewesen wäre, auf beiden Ebenen entsprechende Bündnisse zu haben, statt voneinander divergierende Interessen.

Inwiefern sollte das verhindern, dass der BER entschuldet wird?

Das ist nur ein Beispiel gewesen dafür, dass es gut gewesen wäre, auf Bundesebene und auf Landesebene an einem Strang zu ziehen. Mit dem Neustart, den wir machen wollten, hätten wir mehr umsetzen können, weil weniger Reibungsverluste da gewesen wären zwischen Bund und Land.

Das klingt aber auch nach taktischen Überlegungen und nicht nach Inhalt.

Das klingt nach Lösungen und Pragmatismus. Das, was diese Stadt dringend braucht, sind Lösungen und Pragmatismus statt dem Ausspielen von Interessen und das Profilieren von Wahlverlierern. Das, was wir jetzt erleben, ist, dass eine radikal agierende Linke, die abgewählt wurde in dieser Stadt, sich strukturell in den Koalitionsverhandlungen profiliert. Und das zulasten des Interessenausgleichs, den wir dringend brauchen – in der Wohnungspolitik, in der Verkehrspolitik und in der Wirtschaftspolitik. Wir erleben ein „Weiter-so“, das die Wählerinnen und Wähler der Freien Demokraten, aber sicher auch viele Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokratie nicht gewollt haben. Die Linke wurde eindeutig abgewählt und gibt jetzt trotzdem mit den Grünen den Takt des „Weiter so“ vor.

Hoffen Sie denn noch auf ein Scheitern von Rot-Grün-Rot im Laufe der Koalitionsverhandlungen?

Auch die SPD wollte den Aufbruch in Berlin und ist nun wieder auf dem Weg in die alte Koalition. Und wer sich die letzte Legislaturperiode angeschaut hat, der muss eben auch feststellen, dass etwa die Charta Stadtgrün, das Wirtschaftsverkehrsgesetz oder die Novelle der Landesbauordnung Themen waren, die alle nicht umgesetzt werden konnten. All diese Themen waren Rot-Rot-Grün absolut wichtig zu Beginn der Legislaturperiode. Und am Ende wurde keines dieser Themen angegangen. Es gibt völlig unterschiedliche Sichtweisen, und das Linksbündnis ist im Streit gescheitert. Deshalb fehlt mir schon die Fantasie, wie diese Regierungskoalition jetzt einen Neustart hinbekommen will.

Die Frage war, ob Sie noch mit einem Scheitern dieser Koalitionsverhandlungen rechnen.

Im Grunde müsste die Linkspartei aus diesen Koalitionsverhandlungen aussteigen, weil sie das zentrale Projekt, das die Linke den Wählerinnen und Wählern versprochen hat, dass es nämlich eine Vergesellschaftung und die Umsetzung des Volksentscheids geben könne, nicht erfüllen kann.

Wieso, die Koalitionäre haben eine Expertenkommission vereinbart, die doch genau das prüfen soll?

Wer sich die Idee dieser Expertenkommission anschaut und die Zielsetzung der Linken und der SPD, wird sehen, dass die Linken ein großes Glaubwürdigkeitsproblem haben. Wir haben ja im Augenblick die Situation, dass in dem einen Raum Franziska Giffey richtigerweise ein Bündnis für bezahlbares Wohnen unter Einbeziehung alle Akteure – also auch der privaten Wohnungswirtschaft – möchte, damit es am Ende wieder mehr Wohnungen mit fairen Mieten gibt. Und im unmittelbaren Nachbarraum soll im Rahmen einer Expertenkommission darüber diskutiert werden, wie man genau diese privaten Investoren, die man für eine Entlastung des Wohnungsmarkts dringend braucht, enteignet. Das ist ein Widerspruch in diesen Koalitionsgesprächen, der eigentlich schon jetzt den Bruchpunkt definiert – und zwar spätestens in einem Jahr, wenn die sogenannte Expertenkommission zu einem Ergebnis kommt.

Sie rechnen also nicht mit dem sofortigen Scheitern, aber dann spätestens in einem Jahr?

Es ist zumindest ein Bruchpunkt. Wir sehen, dass hier etwas zusammengefügt wird, was die Grünen erzwungen haben, obwohl inhaltlich eigentlich unüberwindliche Differenzen bestehen. Die Sozialdemokratie hat im Wahlkampf klargemacht, dass es mit ihr keine Enteignungen und keine Vergesellschaftung geben wird. Die Linke hat das genaue Gegenteil versprochen. Wie glaubhaft ist so eine Koalition?

Trotz dieser Differenzen zeichnet sich für die FDP erneut ein Platz auf der Oppositionsbank ab. Was wollen Sie denn anders machen als in den bisherigen fünf Jahren?

Es wird umso wichtiger sein, dass wir als FDP weiter ganz konstruktive Oppositionsarbeit leisten und einer „Linkskoalition reloaded“ noch genauer auf die Finger schauen. Wir kämpfen weiter für eine funktionierende Stadt Berlin, in der Familien wieder ein Zuhause finden, die zu einem Sehnsuchtsort für Gründerinnen und Gründer wird. Also genau das, was wir den Wählerinnen und Wählern auch mit unserem Wahlprogramm in Aussicht gestellt haben, werden wir jetzt im Rahmen der Opposition in die politische Debatte und in den politischen Diskurs bringen.

Sie haben im Wahlkampf einen neuen Volksentscheid für die Randbebauung des Tempelhofer Felds versprochen. Wann werden wir den bekommen?

Wir werden jetzt abwarten, was im Koalitionsvertrag verabredet wird, weil ja auch die SPD hier ganz klar gesagt hat, sie wollen eine Randbebauung am Tempelhofer Feld. Sie haben eine klare Vorstellung zu dem Thema. Wir werden sehen, ob sie sich damit gegen Linke und Grüne durchsetzen kann. Auf Grundlage der Bewertung des Koalitionsvertrages werden wir dann entscheiden, ob und wie wir den Volksentscheid weiter vorantreiben.

Sie wollten auch die Schulbau-Offensive auf andere Füße stellen. Sehen Sie dafür noch Chancen, das auch von der Oppositionsbank aus herbeizuführen?

Wir haben eine Infrastrukturgesellschaft, die diese Aufgabe übernimmt, schon vor Jahren gefordert. Der Senat hat sich dann entschieden, das Projekt an die Wohnungsbaugesellschaft Howoge zu geben. Ob man diese Aufgabe jetzt zu hundert Prozent neu aufsetzt oder modifiziert, ist für uns nicht entscheidend, sondern dass die Zielrichtung stimmt. Eine Landesgesellschaft, die schneller, effizienter und leistungsstärker wird. Das wäre unser Ziel.

Was ist mit der Gleichstellung von privaten und öffentlichen Kitas genauso wie privaten und öffentlichen Schulen, was die finanzielle Ausstattung betrifft?

Auch für diesen Punkt haben wir in den Sondierungsgesprächen gestritten und an konkreten Lösungen gearbeitet. Und wir werden auch da weiter aus der Opposition heraus, natürlich gerade auch im Rahmen der Haushaltsberatungen, deutlich machen, dass ein Nachsteuern in der Frage der Bildungsgerechtigkeit ein Teil eines Neustarts wäre. Wir lassen an dieser Stelle nicht nach.

Haben Sie denn schon mit der CDU sondiert, wie weit sie bei explizit bürgerlichen Themen gemeinsam mehr Gewicht erlangen können?

Nein, das haben wir noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass die CDU sich erst mal selbst sondiert. Und wenn die Union diesen Prozess abgeschlossen hat, dann werden wir uns natürlich auch mit ihr über die uns wichtigen Fragen austauschen. Die aktuelle Situation ist ja gerade – und ich sage das ganz ohne Häme – auch für die CDU sehr schwierig, und deshalb wird die CDU sich jetzt auch erst einmal mit vielen internen Fragen zu beschäftigen haben.

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