Der Umgang mit den Standbildern zweier preußischer Generäle zeugt von den ideologischen Störungen der deutschen Geschichte
Berliner Zeitung vom 08.11.2021 von Maritta Tkalec

Walter Ulbricht hätte das gefallen: Die Marmorstatuen Gerhard von Scharnhorsts und Friedrich Wilhelm Bülow von Dennewitz’ sind aus ihrem angestammten Umfeld zwischen Neuer Wache und Lindenoper verschwunden. Ersatzlos. So, wie es der starke Mann der DDR schon 1950 gewollt hat.

Am 21. Juni 2021 fuhren Kran und Tieflader Unter den Linden auf, luden die beiden von Christian Daniel Rauch 1819 bis 1822 geschaffenen Kunstwerke von hohem Rang auf und transportierten sie in die Zitadelle Spandau. Dort stehen sie nun in Gesellschaft mit weiteren aus der Öffentlichkeit entfernten Geschichtsmonumenten wie Lenins Kopf oder der Skulpturen von der nach Kriegsende aufgelösten Siegesallee im Tiergarten.

Doch die beiden Preußen-Generäle Scharnhorst und Bülow, die in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Fremdherrschaft hohe Verdienste erwarben, stehen dort nicht in der politischen Verbannung wie ihre neuen Nachbarn.

Für Schinkels Denkmalstraße
Den Statuen ging es tatsächlich schlecht, die ätzende Berliner Luft hatte den Carrara-Marmor so stark angegriffen, dass sie zu ihrem Schutz nicht nur die Winter in einer Einhausung verbringen mussten, sondern das ganze Jahr. Das Landesdenkmalamt begründete den Abtransport im Juni mit dem „bedenklichen Erhaltungszustand“, diesen bedeutenden Zeugnissen der Berliner Bildhauerschule drohe der allmähliche Zerfall.

Wobei das Wort von der Verbannung doch auf eine reale Spur führt, weil es zwei Vorgeschichten gibt: 1950, kurz bevor 700.000 Jugendliche zum ersten Deutschlandtreffen ins damals noch nicht getrennte Berlin reisten, veranlasste SED-Chef Walter Ulbricht die Entfernung von fünf Denkmälern von deren prominenten Standorten vor der Neuen Wache. Er sah sie mit ideologisch verengtem Blick als Repräsentanten des preußischen Militarismus.

Nicht einmal Scharnhorst blieb verschont, der Mann, der die preußische Armee im Sinne der Aufklärung grundlegend reorganisierte. Zusammen mit August Neidhardt von Gneisenau schaffte er im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen alte Adelsvorrechte ab; Offiziere qualifizierten sich seither nicht allein durch Herkunft, sondern durch Ausbildung und Leistung. Die entwürdigenden Prügelstrafen wurden verboten. Die preußische Armee wandelte sich zum stehenden Volksheer.

1949 drohte sogar der Abriss der 1816 bis 1818 von Karl Friedrich Schinkel als Denkmal für die Gefallenen der Befreiungskriege errichteten Neuen Wache: Berliner FDJ-Mitglieder hatten das gefordert, Denkmalschützer protestierten, der verantwortliche sowjetische Kulturoffizier Alexander Lwowitsch Dymschitz rettete mit einem Machtwort eines der Hauptwerke des Klassizismus vor der Vernichtung.

Die überlebensgroßen Standbilder Scharnhorsts und Bülows hatte der Bildhauer Christian Daniel Rauch nach einem Entwurf Schinkels als Bestandteil des Skulpturenprogramms für die Umgestaltung der Straße Unter den Linden zur Via Triumphalis aus weißem Marmor geschlagen. Zu Schinkels „Denkmalstraße“ gehörten von 1855 an auch die auf der anderen Seite der „Linden“ platzierten rauchschen Bronzestatuen Blüchers, Gneisenaus und Yorck von Wartenburgs. Dass mit den beiden letzteren und Scharnhorst bürgerliche, wegen ihrer Verdienste geadelte Persönlichkeiten in der Berliner Mitte geehrt wurden, war revolutionär.

Am schönsten hat Walter Kiaulehn die Szenerie in seinem 1958 erschienenen Buch „ Berlin – Schicksal einer Weltstadt“ beschrieben: „Rechts von der Wache stand Scharnhorst mit dozierend erhobener Hand, links in der Pose der Ruhe Bülow, die eine Hand in der Hüfte, die andere auf den Degen wie auf einen Spazierstock gestützt. Das Verhältnis der Figuren auf ihren Postamenten zu der Neuen Wache, ihr Abstand vom Gebäude waren genau berechnet. Berechnung war es auch, dass gerade diese beiden Männer hier standen, Scharnhorst, der revolutionär gesonnene Bauernsohn , der Napoleon mit den Ideen der von ihm verratenen Revolution geschlagen hatte, und Bülow, der siegreiche Verteidiger Berlins , der die Bedrohung der offnen Stadt weit draußen, in glänzenden Feldschlachten, von ihren Toren abgewendet hatte.“

1964 kehrten die drei Bronzen und der marmorne Scharnhorst (Bülow blieb im Depot) in die Grünanlage gegenüber der Neuen Wache zurück. Diese war inzwischen zum Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus umgewidmet. 1990 plante die DDR kurz vor ihrem Ende noch die Rückführung aller Denkmäler an ihre ursprünglichen Plätze. Eberhard Diepgen, CDU, seit 1991 Regierender Bürgermeister von Berlin , befürwortete das Vorhaben, „damit deutsche Geschichte von den Befreiungskriegen bis heute wieder ablesbar wird“.

Mit der Macht des Bundeskanzlers zerschlug Helmut Kohl diesen Plan. Er hat am zentralen deutschen Erinnerungsort seine Marke hinterlassen: eine vergrößerte Kopie der Pietà von Käthe Kollwitz, eines christlich-pazifistischen Mutter-Sohn-Symbols, im nunmehr als Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft umgebauten Gehäuse. Am Volkstrauertag werden dort Kränze niedergelegt, am kommenden Sonntag wird das wieder geschehen.

Die Kollwitz-Erben wehrten sich gegen die Militärs in der Nähe. Das Kanzleramt wich dem Druck und sicherte die Nichtaufstellung der Denkmäler zu. So wie in der DDR weigerte man sich, die Verdienste um Staatsreform und Landesverteidigung anzuerkennen – obwohl vor allem Scharnhorst hüben wie drüben zur Traditionspflege gehörte.

Die Figuren zogen 1993 ins Depot. Immerhin wurden sie gründlich saniert und 2002 – die Kollwitz-Familie hatte eingewilligt – zu fünft im Prinzessinnengarten platziert. Seit dem Abtransport im Juni 2021 sind die beiden vorderen Plätze leer, die drei Bronzegeneräle stehen verborgen hinter Bäumen und Büschen.

Dass die Scharnhorst- und Bülow-Originale gesichert werden mussten, war seit vielen Jahren klar. Fest steht auch schon lange, dass Rauchs Meisterwerke nicht durch Abgüsse in Kunststein oder Bronze ersetzt werden, sondern durch Kopien in Carrara-Marmor. Getan hat sich nichts. Stehen also die Fragen: Ist die Neuanfertigung schon beauftragt? Wer wird diese ehrenvolle Ausgabe ausführen? Ist der Auftrag finanziell gesichert?

Auf Anfrage verweist das Landesdenkmalamt auf eine am 14. Juni 2021 verbreitete Pressemitteilung, in der es schmallippig heißt: „Der Ersatz der Originale durch Substitute ist gemäß einer Entscheidung des Landesdenkmalrates von 2017 am Standort Lindenforum vorgesehen.“ Einen neuen Sachstand gebe es nicht. Mit anderen Worten: Die Leerstelle bleibt – auf lange.

Appell an den Bundespräsidenten
Verzweifelt hatte sich die Arbeitsgemeinschaft Berliner Bürgervereine im Juni an Bundespräsident Frank Walter Steinmeier gerichtet: „... mit Entsetzen erfahren wir, dass auf Anordnung des Senators für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer, das bedeutendste Denkmalensemble Berlins auseinandergerissen werden soll.“ Und weiter: „Ergebnislos blieb offensichtlich der Vorschlag des Berliner Landesdenkmalrates von 2017, die kostbaren Originale im Innenhof des Deutschen Historischen Museums oder in der Friedrichswerderschen Kirche aufzustellen. Wir bitten jetzt nachdrücklich um die baldige Herstellung von Kopien und um deren Aufstellung an ihren alten Standorten Unter den Linden .“

In dem Schreiben wird beklagt, dass es seitens des Senats kein Finanzierungskonzept für die Kopien gibt – allerdings liege von privater Seite eine Finanzierungszusage vor. Das Schreiben endet mit dem Appell an den Bundespräsidenten, „sich gegen diesen folgenschweren Eingriff in das historische Zentrum der Hauptstadt auszusprechen“.

In Spandau freut man sich über die Neuzugänge als „kulturhistorische Highlights“, wie Museumsleiterin Urte Evert sagt. Die „tollen Denkmäler“ könnten dort ihre Wirkung unbeengt entfalten. Besucher stehen vor den beiden 2,50 Meter hohen Standbildern auf verzierten Sockeln, sobald sie die Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ betreten.

Die Herren in Gala-Uniform und faltenreichen Umhängen haben den Transport gut überstanden, die notwendigen Sanierungen sind bereits ausgeführt. Trocken, sicher und würdig stehen sie am Beginn des Weges durch die Berliner Geschichte, der vorbei an Markgrafen, Kurfürsten, Patriziern und Popen führt und am Leninkopf endet.

Scharnhorst und Bülow in dieser Reihe zu verstehen, fällt schwer. Eine Platzierung der künftigen Kopien an ihren Originalstandorten rechts und links der Neuen Wache wäre ein Ausgleich für die unglückliche Position in Spandau. Ausgang offen.

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