Zum Auftakt der neuen Mobilitäts-Serie spricht Eva Kreienkamp (59) über die Herausforderungen ihres Unternehmens
B.Z. vom 01.11.2021 von Jahannes Malinowski

Berlin - Seit rund einem Jahr steht Eva Kreienkamp (59) an der Spitze der BVG. Nach Sigrid Nikutta (52), seit 2020 Bahnvorstand für Güterverkehr, ist sie die zweite Frau auf dem Vorstandsposten.

Wir treffen die BVG-Chefin zum Interview im Besprechungsraum im 12. Stockwerk der Firmenzentrale ("Trias") an der Holzmarktstraße. Hier hat Kreienkamp auch ihr Büro - traumhafter Blick über die Innenstadt inklusive.

B.Z.: Sie sind seit einem Jahr im Amt. Wie sieht Ihre bisherige Bilanz aus?
Kreienkamp: Ich habe die BVG in einer Phase übernommen, in der wir wegen Corona alle etwas orientierungslos waren. Das war eine Melange verschiedener Einflüsse. Wir hatten weniger Fahrgäste und gleichzeitig wurde der neue Verkehrsvertrag mit dem Land geschlossen, der unsere Zukunft gesichert hat. Eine Herausforderung war das Kennenlernen vieler Menschen per Videotelefonie. Die Eröffnung der U5 war ein großes Ereignis. Da wurde mir klar, wie viel Berlin und wie viel Geschichte in der BVG steckt.

Was ist die größte Herausforderung für Sie?
Die Kombination aus Fahrgastrück- und neugewinnung. Wir sind mitten in der Mobilitätswende und wollen das Rückgrat einer neuen Mobilität sein. Dafür müssen wir neue Zielgruppen erschließen.

Welche Zielgruppen sind das?
Das sind vor allem Menschen, die sonst nicht mit den Öffentlichen fahren. Die können wir nur durch Qualität gewinnen, durch eine durchgängige Taktung und ein ausgeweitetes Angebot. Oft entsteht der Verkehr in Brandenburg und nicht in Berlin . Wir brauchen im Verkehrsverbund neue Formen der Zusammenarbeit und der Linienführung.

Sie sprechen von der Ausweitung der Tarifzone B auf das Umland?
Wir müssen das Netz insgesamt und auch das Ticketing betrachten. Es geht nicht darum, nur den B-Bereich zu erweitern, sondern darum, das Angebot möglichst einfach zu machen. Eine Möglichkeit ist ein Check-in-and-out-System. Ein Algorithmus könnte für jeden Fahrgast den günstigsten Fahrpreis ermitteln und automatisch zum Beispiel eine Tageskarte berechnen, wenn es preislich sinnvoll ist.
Solche Systeme kennt man aus den USA, wo so verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert werden.
Genau. Und deshalb ist der Verkehrsverbund auch wichtig als Partner, um solche innovativen Wege zu gehen.

Welche Rückmeldung bekommen Sie aus dem Verkehrsverbund ?
Die Unternehmen in Brandenburg haben denselben Schmerz, genauso wie die Landkreise und kreisfreien Städte. Wir können den öffentlichen Verkehr wirklich nur dann attraktiv machen, wenn im ländlichen Raum der nächste Bus nicht erst in zwei Stunden kommt.

Die Rahmenbedingungen dafür kommen von der Politik. Was wünschen Sie sich von einer kommenden Koalition?
Wir müssen schneller werden. Viele neue Busspuren sind identifiziert und müssen umgesetzt werden. Wir brauchen auch Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen. Die anderen Verkehrsteilnehmer müssen neidisch sein, dass wir schneller sind.

Die BVG hat rund 1,3 Milliarden Euro Schulden. Gleichzeitig soll überall investiert werden. Wie passt das zusammen?
Die wesentlichen Verbindlichkeiten der BVG sind Investitionsverbindlichkeiten. Es sind somit keine klassischen Schulden, sondern Geld, das wir benötigen, um in Zukunft als Wirtschaftsunternehmen handlungsfähig zu bleiben. Wir wollen CO2 reduzieren und den Fahrgästen ein positives Erlebnis geben. Solange das betriebswirtschaftlich aufgeht, hat die BVG eine gesunde Bilanz.

Stichwort CO2-Reduktion: Ist das Konzept Elektrobus auch betriebswirtschaftlich tragfähig?
Wi r haben schon jetzt rund 140 E-Busse und haben 90 weitere in der Aus - schreibung. Das ist im Vergleich zu anderen Unternehmen schon eine mittelgroße Verkehrsgesellschaft . Wir üben und lernen mit den Bussen und sammeln Erfahrungen auch für andere Städte. Natürlich ist das am Anfang teuer, weil es noch nicht überall ausgereift ist. Je mehr Busse wir einsetzen, desto preiswerter wird es.

Welche Bauprojekte haben für Sie Priorität?
Die Bestandserhaltung und die Dekarbonisierung beim Bus. Zehn Prozent der Busse sind schon elektrisch, wir bauen dafür unsere Betriebshöfe um. Bei den Straßenbahnen müssen wir die Querverbindungen stärken, zum Beispiel vom Nordosten in den Nordwesten. Hinter Spandau stellt sich die Frage, wie wir den Teil, der schon Brandenburg ist, besser an die Stadt anbinden. Das sind Themen, die wir mit unserem neuen Senat sehr intensiv besprechen wollen. Ich freue mich auf jeden Spatenstich.
Von der Planung bis zur Fertigstellung gehen oft viele Jahre ins Land.
Wir haben uns seit Beginn der Bundesrepublik darauf versteift , eine autogerechte Welt zu bauen . Jetzt gibt es die Erwartung, das umzubauen, was wir mehr als 70 Jahre lang zementiert haben. Da muss man realistisch sein. Wenn ich nur Geld in Straßen stecke, habe ich nichts für die Schiene.

Was, glauben Sie, kommt früher: Die Verlängerung der U7 zum BER oder der U3- Lückenschluss zwischen Krumme Lanke und Mexikoplatz?
Wahrscheinlich der Lückenschluss, weil die Strecke bedeutend kürzer ist und es schon ein Stückchen Tunnel gibt. Ich halte aber auch den U7-Ausbau für sinnvoll, ebenso die Anbindung der Urban Tech Republic in Tegel und die Erschließung in Richtung Gartenfeld. Wenn bei den dortigen Entwicklungen der öffentliche Verkehr nicht mitgedacht wird, machen wir einen riesengroßen Fehler.

Wann rechnen Sie mit der nächsten Fahrpreiserhöhung?
2022 wird es keine geben, ich rechne 2023 mit einer moderaten Erhöhung. Über die Höhe will ich nicht spekulieren.

Welche Erfahrungen haben Sie als Fahrgast mit der BVG gemacht?
Ich fahre jeden Morgen mit der Bahn von Reinickendorf aus ins Büro. Einmal habe ich mich im Bahnhof Gesundbrunnen total verlaufen. Den dortigen Übergang zwischen U- und S-Bahn versteht kein Mensch. Ich bin dann mit unseren Leuten, die für die Fahrgastinformation zuständig sind, zu den entscheidenden Punkten losgezogen, um zu schauen, was man ändern kann. Das hat großen Spaß gemacht.

Sind Sie also auch als Undercover Boss in Bus und Bahn unterwegs?
Am Anfang war ich undercover, inzwischen kennen mich natürlich ein paar Leute.

Wurden Sie schon einmal von einem Busfahrer angepampt?
Nein. Aber ich habe mich auch noch nie sinnbildlich vor einen Bus geschmissen und erzwungen, dass er die Tür aufmacht.

Die BVG will auch unterirdisch weiterbuddeln
Das sind Berlins U-Bahn-Pläne

Berlin - 155,4 Kilometer misst das Berliner U-Bahnnetz. B.Z. erklärt, wo bald noch etwas dazukommen könnte.
Die Diskussionen sind fast so alt wie Berlins U-Bahn (die übrigens die älteste U-Bahn Deutschlands ist): Wie, wann und wo soll das Netz ausgebaut werden?

U8-Verlängerung ins Märkische Viertel
Rund 50 000 Bewohner der Großsiedlung würden aufatmen, wenn die U8 im Norden verlängert würde. Doch die Argumente dagegen wiegen schwer. Der Wilhelmsruher Damm, eine wichtige Verkehrsader im Norden, würde über Jahre zur Großbaustelle. Dazu kommt der geringere Nutzen. Die Verkehrsverwaltung rechnet mit einem Potenzial von 25 000 Fahrgästen pro Tag. Zu wenig für eine Priorisierung.

U3-Verlängerung Mexikoplatz
Der Lückenschluss, über den nach der Fertigstellung der U5 wohl am meisten gesprochen wird. Zwischen Krumme Lanke und Mexikoplatz (S1) liegen nur 850 Meter. Auch hier soll eine Kosten-Nutzen-Rechnung her. Ob gebaut wird, steht frühestens 2023 fest.

U7-Ausbau bis zum BER
Seit der Flughafen Tempelhof 2008 schloss, gibt es keinen Berliner Flughafen mehr mit U-Bahn-Anbindung. Das ließe sich in der Theorie schnell ändern. Vom Endbahnhof der U7 in Rudow bis zum neuen Terminal sind es 8,5 Kilometer. Die Politik ist sich einig, dass die Verlängerung nötig ist. Dennoch ist Geduld gefragt. Frühestens Mitte der 2030er-Jahre könnten die ersten Züge zum Flughafen rollen und dann bis zu 35 000 Fahrgäste täglich transportieren.

U7-Ausbau bis Heerstraße
Auch am anderen Ende der U7 soll gebaut werden. Und auch hier gab der Senat eine Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag. 40 000 Fahrgäste am Tag werden erwartet. Die Politik rechnet mit einem Baubeginn Ende der 2020er-Jahre.

U6-Abzweig zur Urban Tec Republic
Was Berlin in den 46 Jahren Flughafen Tegel nicht geschafft hat, wird wohl auch in Zukunft erstmal nichts. Zwar gab es Bestrebungen, einen Abzweig der U6 ab Kurt-Schumacher-Platz zu bauen , der die zukünftige Urban Tech Republic ans Netz anschließt. Doch in der Verkehrsverwaltung rechnet man mit nur 15 000 bis 20 000 Fahrgästen pro Tag. Stattdessen denkt man jetzt über eine Straßenbahnanbindung nach.

Wer hat die Nase vorne?
Berlin - Zwei große Verkehrsunternehmen , täglich Millionen Fahrgäste. Zeit für einen Vergleich von BVG und S-Bahn.
Beide Unternehmen befördern jährlich rund eine Milliarde Fahrgäste. von A nach B. 334 Millionen sind es bei der S-Bahn, 728,5 Millionen - also mehr als doppelt so viele - bei der BVG. 665 S-Bahnen (jeweils Viertelzüge) fahren durch Berlin , 1296 U- Bahnen. Dazu kommen 380 Straßenbahnen und 1554 Busse.

Dicht auf den Fersen ist die S-Bahn der BVG bei der Zahl der Bahnhöfe. 168 sind es bei der S-Bahn. Davon liegen 132 in Berlin und 36 in Brandenburg. Bei der U-Bahn der Verkehrsbetriebe sind es nur sieben Haltepunkte mehr.

Den größten Unterschied machen die beiden Verkehrsunternehmen in Sachen Personal. Während bei der S-Bahn 2875 Mitarbeiter für den täglichen Betrieb sorgen, sind es bei der BVG 15 710.

Und auch in Sachen Zukunft klaffen die Zahlen beider Unternehmen weit auseinander. Die S-Bahn bildet 116, die BVG 470 Auszubildende aus.

Die B.Z. im Internet: www.bz-berlin.de