Die Grünen-Spitzenfrau über Klimaschutz als gemeinsame Aufgabe des Senats, ein verpflichtendes Ticket für Berlin -Besucher und Verwaltungsärger.
Tagesspiegel vom 27.10.2021 von Sabine Beikler und Christian Latz

Frau Jarasch, in Berlin kommt es wohl zur Neuauflage von Rot-Grün-Rot. Das Sondierungspapier trägt eine sozialdemokratische Handschrift. Haben Sie sich die Koalitions-Entscheidung von Frau Giffey teuer erkauft?

Wir haben nichts teuer erkauft. Das war ein gemeinsamer Weg, den wir während der Sondierungen beschritten haben. Wir haben auf Augenhöhe verhandelt. Nach der Wahl war klar, dass die Grünen mit einem Ergebnis von 18,9 Prozent gestärkt wurden und es den Wählerwunsch nach mehr Grünen in der Regierung gibt. Es war von Anfang an klar, dass wir ein Bündnis Rot-Grün-Rot favorisieren. Es gab den Wunsch der SPD, parallel mit Linken und FDP zu Dritt zu sondieren. Das haben wir gern gemacht, um danach zu einem klaren Ergebnis zu kommen.

Frau Giffey hat sich während der Sondierungen für eine Ampelkoalition ausgesprochen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Als Partner mussten wir zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Daran habe ich keinen Zweifel gelassen.

Noch einmal die Frage nach dem Sondierungspapier: Die SPD ist stolz darauf, dass es ihre Handschrift trägt. Wo sind Grünen-Forderungen in dem Papier?

Die sind durchgängig enthalten. Wohnen, Mieten, Verkehrswende und Klimaschutz sind Themen, die im Wahlkampf eine Rolle gespielt haben. Darüber haben wir sehr gründlich auch während der Sondierungen gesprochen. Wir sind beim Thema Wohnen in etwa den Weg gegangen, den ich mit einem Mietenschutzschirm vorgeschlagen hatte. Wir wollen ein Bündnis mit Wohnungsunternehmen und Privaten schließen, das nicht nur auf Neubau, sondern auch auf bezahlbare Mieten im Bestand setzt.

Der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und der Radwege wird finanziert, darin sind wir uns einig. Und für das zentrale Thema Klimaschutz ist die gesamte Regierung und nicht nur ein Ressort verantwortlich. Wir werden ein Monitoring auflegen und dann nachsteuern, wenn wir unsere CO2-Reduktionsziele verfehlen.

Wie soll das von allen drei Partnern beschworene Credo „Es wird kein Weiter so geben“ gelingen, wenn weiterhin die gleiche Koalition regiert?

Das „Weiter so“ ist nicht vom Auswechseln des dritten Koalitionspartners abhängig, sondern vom Stil der Zusammenarbeit. Manche Dinge müssen anders angepackt werden. Es kann sogar ein Vorteil sein, dass wir uns nach fünf Jahren rot-rot-grüner Regierung gut kennen und auch wissen, warum bestimmte Vorhaben nicht so gut gelungen sind. Wenn wir das offen und ehrlich angehen, die Hindernisse aus dem Weg räumen und nicht zu viele Versprechen machen, dann werden wir einen Neustart hinbekommen.

Wo sehen Sie in den vereinbarten Leitlinien eine positive Veränderung zu den bisherigen Plänen von Rot-Rot-Grün?

Klimaschutz muss messbar und eine Gesamtaufgabe der Regierung sein. Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, um erfolgreich zu sein. Und ich sehe, dass es eine Bereitschaft gibt bei allen drei Partnern, dies auch so zu praktizieren.

Wie soll sichergestellt werden, dass sich am Ende alle an die Klimaziele halten?

Es funktioniert nicht, wenn das Klima-Thema bei einer Senatsverwaltung allein abgeladen wird. Ich möchte eine Klimaregierung, in der sich mit einer entsprechenden Steuerung der ganze Senat das Thema zu eigen macht. Der erste Schritt wäre ein verbindliches Monitoring. Wir wollen über die Menge an CO2 gehen, die Berlin insgesamt noch verbrauchen darf. Idealerweise koppeln wir das an die Verabschiedung des Haushalts, damit man Rechenschaft ablegt, wie weit wir bei den Zielen sind. Wenn wir feststellen, wir sind zu langsam, kommt der Senat zusammen und überlegt gemeinsam, was man in welchem Ressort mit welcher Maßnahme machen kann.

Rot-Grün-Rot geht jetzt anders miteinander um. Liegt das an Franziska Giffey?

Es gibt einen Vorteil, den ich auch für mich in Anspruch nehme. Frau Giffey hat sich in den letzten fünf Jahren nicht im Senat verkämpft. Sie kennt zwar Berlin, kommt aber erst jetzt auf die Landesebene. Ich war zwar Mitglied im Abgeordnetenhaus, aber nicht im Senat. Wir gehen beide sozusagen frisch und unversehrt an die gemeinsame Aufgabe heran.

Als Brückenbauerin haben Sie sich im Wahlkampf bezeichnet. Warum gelang das nicht mit der FDP?

Wir hatten sehr interessante Gespräche, bei denen beide Seiten voneinander lernen konnten. Ich messe aber Koalitionspartner auch daran, was ich mit ihnen im Sinne Berlins umsetzen kann. Die FDP war sehr kompromissbereit. Aber in längeren Diskussionen hat man gemerkt, dass sie in vielen Feldern einen komplett anderen Politikansatz hat.

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Die FDP ist grundsätzlich skeptisch, was regulatorische Maßnahmen oder Ordnungsrecht betrifft. Nur bei Freiwilligkeit und der Steuerung über Preise ist die FDP überzeugt dabei. Das genügt nicht, um den Klimawandel aufzuhalten, und wäre über die Dauer einer Legislaturperiode sehr schwierig geworden. Ich sage aber auch, dass ich den Gesprächsfaden, den wir mit der FDP jetzt haben, nicht abreißen lassen möchte.

FDP-Landeschef Meyer sagte dem Tagesspiegel, dass die Grünen auf Totalverweigerung gestellt hatten. Stimmt das?

Das sehe ich nicht so. Aber es gibt in Berlin einen Unterschied zum Bund. Während sich dort FDP und Grüne in den vergangenen Jahren aufeinander zubewegt haben, hat sich die Berliner FDP als Gegenmodell zu den Berliner Grünen aufgestellt und Plakate aufgestellt, die eher polarisieren wie „Wer weiter Autofahren will, darf jetzt nicht links abbiegen“.

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Berlin hat eine angespannte Haushaltssituation. Wo kann man denn noch weiter einsparen?

Wir müssen Prioritäten setzen. Das müssen jetzt die Fachgruppen in den Koalitionsverhandlungen untersetzen. Wir brauchen keine Wunschlisten. Und wir müssen gucken, wo wir durch kluge Ausgaben am Ende sogar an zusätzliche Mittel kommen. Zum Beispiel beim gemeinsamen Ausbau der Schieneninfrastruktur zusammen mit Brandenburg oder beim Radwegeausbau: Für all das brauchen wir Planer, für die Umsetzung erhalten wir aber Geld vom Bund, wenn wir es richtig machen. Das müssen wir umsetzen. Die Gelder aus dem Verkehrsministerium müssen ja nicht zwangsläufig auch in Zukunft vor allem nach Bayern fließen.

Welche Projekte haben für Sie Priorität in den nächsten Jahren?

Wir brauchen Klimaschutzinvestitionen und müssen die energetische Sanierung vorantreiben, um die Energiekosten langfristig zu senken. Die Schieneninfrastruktur muss gemeinsam ausgebaut werden. Das gilt auch für den U-Bahn-Ausbau.

Im Wahlkampf haben Sie gesagt, beim Verkehr die Außenbezirke stärker in den Blick nehmen zu wollen. Mit welchen Angeboten konkret wollen Sie dort kurzfristig für Verbesserungen sorgen?

Sobald die bestellten S- und U-Bahnen eingetroffen sind, müssen wir den Takt verdichten. Die bestellten Elektrobusse müssen verstärkt am Stadtrand eingesetzt werden, um etwa Quer-Verbindungen auch im gleichen Bezirk zu verbessern. Die Sharing-Mobility, wie Carsharing-Autos, muss im gesamten Stadtgebiet angeboten werden. Und für die letzte Meile von der S-Bahn-Station bis nach Hause brauchen wir Mobility-Hubs. Dazu gehört auch ein Rufbussystem.

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Bleibt es bei der Forderung der Grünen nach einer City-Maut als dritte Säule der Finanzierung?

Eine dritte Finanzierungssäule bedeutet eine zusätzliche Einnahmequelle für den Ausbau des Nahverkehrs. Die werden wir brauchen, wenn wir nicht nur das weiterverfolgen wollen, was jetzt schon geplant ist, sondern darüber hinaus gehen wollen, etwa bei der U-Bahn. Dabei geht es uns nicht um ein bestimmtes Instrument, sondern um eine finanzielle Stärkung des Nahverkehrs-Ausbaus.

Haben Sie andere Favoriten?

Das eine ist ein verpflichtendes Gästeticket. Mein Eindruck ist, es würde kaum Touristen davon abhalten nach Berlin zu kommen, wenn sie ein Ticket bekommen, mit dem sie sich überall bewegen können, und es würde uns Geld bringen. Dies wird aber nicht reichen, deshalb werden wir sowohl bei der Parkraumbewirtschaftung als auch bei Parkgebühren über neue Modelle sprechen. Das hätte auch eine verkehrssteuernde Wirkung.

Und was soll in Zukunft mit der Friedrichstraße werden

Das schauen wir uns in einem größeren Rahmen an. Die Gewerbetreibenden und Wirtschaftsverbände wollen alle nicht zurück zum Zustand, wie er vorher war. Das war nicht attraktiv. Wir müssen die ganze historische Mitte in ihrer Gesamtheit einbeziehen und dafür eine kluge Verkehrsführung überlegen und die Straße noch deutlich mehr in ihrer Aufenthaltsqualität heben. Da gibt es viele Überlegungen.

Die Friedrichstraße sollte das Leuchtturmprojekt der Verkehrspolitik sein. Haben Sie einen neuen Ort im Blick, den Sie für die Verkehrswende umbauen wollen?

Es gibt beispielsweise den Breitenbachplatz . Man könnte die Autobahnbrücke ganz zurückbauen, dafür gibt es vor Ort einen parteiübergreifenden Konsens. Wir müssen Berlin auch an vielen Orten dem Klimawandel anpassen. Dazu wollen wir Flächen entsiegeln und den öffentlichen Raum für die Menschen zurückerobern.

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Die AG City in der City West hat sich dazu etwa die Budapester Straße mit dem Breitscheidplatz herausgegriffen. Damit kann man gerne anfangen. Klar ist, dass man da entsiegeln und Verkehr rausnehmen muss. Aber auch die Betonwüste am Elsterwerdaer Platz in Marzahn-Hellersdorf sollte neu belebt werden.

Nach der Regierungsbildung wird eine Expertenkommission zum Volksentscheid Enteignung eingesetzt. Ist das nicht eine Beerdigung erster Klasse?

Nein, das sehe ich nicht so. Die Expertenkommission soll nicht nur prüfen, ob, sondern auch wie ein Gesetz aussehen könnte und uns Vorschläge machen. Am Ende wird darüber dann die Entscheidung im Senat fallen müssen.

Klaus Wowereit hat vergangene Woche eine Revolution angemahnt, um die Verwaltung auf Vordermann zu bringen. Frau Giffey plant einen Verfassungskonvent. Was müsste jetzt sofort passieren?

Wir werden die Verwaltung nicht verbessern können, wenn wir mit einem Bashing sämtlicher Mitarbeiter beginnen, wie es Klaus Wowereit getan hat. Auf die Weise macht man jede Art von Veränderung kaputt. Das finde ich grenzwertig für jemanden, der hier jahrelang Verantwortung hatte und auch für den jetzigen Zustand der Verwaltung eine Mitverantwortung trägt.

Gerade bei Leitungsstellen haben wir aber ein Besetzungsproblem, weil wir nicht die gleichen Gehälter wie im Bund zahlen können. Wir müssen daher umso attraktiver sein als Arbeitgeber, wenn wir Leute bekommen wollen. Indem wir Leute wertschätzen und beispielsweise auch neuen Berufsgruppen die Möglichkeit geben in die Verwaltung zu kommen, etwa indem wir die starren Laufbahnen aufbrechen.

Was müsste sich denn an den Strukturen ändern?

Nicht alle Probleme brauchen eine Verfassungsänderung, um gelöst zu werden. Da reicht oft eine Änderung des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes, mit dem man Aufgaben sauber trennt. Das heißt gar nicht zwingend, dass man alles zentralisiert, sondern, dass man klarer zuordnet. Daneben braucht es verbindliche Zielvereinbarungen zwischen Senat und Bezirken, mit denen man sich auf eine gemeinsame Aufgabe verständigt und die Bezirke sagen können, was sie dafür auch an Ressourcen brauchen. Diese Mittel bekommen die Bezirke, dann wird aber auch kontrolliert, ob sie die Vereinbarungen einhalten und wenn nicht, kann sanktioniert werden.

Als Spitzenkandidatin Ihrer Partei werden Sie in den Senat gehen. Welches Ressort möchten Sie übernehmen?

Ich werde meinen Teil der Verantwortung für Berlin als Mitglied des Senats und Bürgermeisterin wahrnehmen, wenn die Koalitionsgespräche erfolgreich sind.

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