Zählgemeinschaft von Grünen und SPD will den Bezirk klimaneutral machen. Bis 2026 sind unter anderem Eingriffe in den Straßenverkehr vorgesehen
Berliner Morgenpost vom 27.10.2021 von Julian Würzer

Ein Monat nach den Berliner Wahlen steht der Entwurf über die Zählgemeinschaftsvereinbarung von Grünen und SPD im Bezirk Mitte. Das 24-seitige Papier mit der Überschrift „Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt für den Bezirk Mitte von Berlin “ liegt der Berliner Morgenpost exklusiv vor. Der Kreisvorstand der SPD hat sich am Montag nach Morgenpost-Informationen intern bereits für die Vereinbarung ausgesprochen und will sich nun mit den Grünen abstimmen, die noch am Dienstag für das Dokument votieren wollten.

Weichen stellen für einen klimaneutralen Bezirk
In der Präambel des Entwurfs heißt es: „Wir wollen die Weichen für einen klimaneutralen Bezirk Mitte stellen.“ Man wisse, dass Klimaschutz eine generationenübergreifende Aufgabe sei und nur in Einheit mit ökologischer und sozialer Gerechtigkeit dauerhaft gesichert werden könne. Daher wolle man mutig vorangehen und „lieber Rückschläge und Irrtümer in Kauf“ nehmen als den Status quo „ängstlich“ zu verwalten.

Einer der brisantesten Punkte in dem Papier ist, dass Grüne und SPD bis zum Jahr 2026 bis zu 25 Prozent der Parkplätze in Mitte entsiegeln und für Baumpflanzungen und als nachbarschaftlich genutzten Stadtraum zur Verfügung stellen wollen. Zudem sollen „sukzessive“ Parkplätze an Kreuzungen umgewidmet werden, um etwa als Abstellflächen für Fahrräder, Lastenräder und E-Roller zur Verfügung zu stehen.

Die beiden Parteien wollen Parkplätze für den motorisierten Individualverkehr umwandeln, wenn dies die Verkehrssicherheit erhöhe, neue Stellflächen für den Radverkehr oder Sharingfahrzeuge schaffe oder diese Flächen für eine ökologische Qualifizierung des Stadtraumes durch Entsiegelung und Anpflanzungen genutzt werden können, heißt es in dem Papier. Auch die Umwandlung von Parkplätzen zu Schankvorgärten, wie es etwa in Friedrichshain-Kreuzberg der Fall ist, will die Zählgemeinschaft unterstützen. Ferner soll auch die Parkraumbewirtschaftung bis Mitte 2022 auf nahezu den gesamten Bezirk ausgeweitet werden.

Roland Stimpel, Vorstandsvorsitzender des Verbands Fuss e.V., begrüßt den Vorstoß von Grünen und SPD, jeden vierten Parkplatz umzuwandeln. „Diese Umgestaltung der Metropole Berlin kann Mitte zu einem lebenswerten Zentrum machen“, sagte Stimpel unserer Zeitung. Um die Stadt für den Klimawandel zu wappnen, ist es laut Stimpel wichtig, Ausgleichsräume zu schaffen. Viele kleine Abschnitte, die dezentral über die Stadt verteilt sind, seien wichtiger als ein großer Park in der Mitte, so der Verbandschef. „Mitte ist ja ohnehin sehr gut für den öffentlichen Nahverkehr erschlossen, aber auch mit dem Rad“, sagte er. Deshalb könne er sich diesen Schritt gut vorstellen.

Kritik an dem Vorhaben kam allerdings vonseiten der CDU und der FDP. „Die bekannt gewordenen Inhalte der Zählgemeinschaftsvereinbarung zwischen Grünen und SPD sind in Teilen nur als einseitige Kampfansage an das Auto zu deuten“, sagte Benjamin Fritz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU Mitte. Ein Viertel der vorhandenen Parkplätze im Bezirk zu entwidmen, nehme den Bewohnerinnen und Bewohnern einerseits die Freiheit der Mobilität und andererseits die Teilhabe am öffentlichen Leben. „Eine Verkehrswende kann nur mit den Menschen, nicht gegen sie verwirklicht werden“, so Fritz. Deshalb fordert er stattdessen den konsequenten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, um Anreize zum Umstieg vom Auto zu schaffen. Aus Kreisen der CDU in Mitte war auch zu hören, dass die Umsetzung des Vorhabens sehr „ambitioniert“ sei. Mit Hinblick auf die Verfahren zur Umwidmung der Parkplätze seien 25 Prozent wenig realistisch.

Der bisherige verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Henner Schmidt, sieht eine Parkplatznot, die entstehen könnte, die sich vor allem auf jene auswirken werde, die auf ihr Auto angewiesen seien. Nicht jeder könne sich einen Parkplatz in einer Tiefgarage leisten, so Schmidt.

Wer welche Posten im neuen Bezirksamt bekommt

In dem Entwurf der Zählgemeinschaftsvereinbarung ist auch festgehalten, dass die Grünen künftig neben dem Bezirksbürgermeister, der Stephan von Dassel bleiben soll, zwei Stadträte stellen sowie den Vorsitzenden der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Dabei wollen sich die Grünen das Ressort Straßen, Grünflächen, Umwelt und Naturschutz sowie Ordnung und das Ressort Schule, Sport, Weiterbildung und Kultur sichern. Informationen der Morgenpost zufolge, soll Almut Neumann Verkehrsstadträtin werden. Bei der anderen Position kommt es innerhalb der Partei zu einer Kampfabstimmung zwischen Filiz Keküllüoglu und Stefanie Remlinger. Die Partei wollte am Dienstagabend darüber entscheiden.

Die SPD bekommt den Stadtratsposten für das Ressort Stadtentwicklung und Facility Management und darf den stellvertretenden Bürgermeister stellen. Die Ämter soll Ephraim Gothe, der beiden bislang innehatte, übernehmen. Das Ressort Jugend und Gesundheit soll laut Zählgemeinschaftsvereinbarung an die Linke gehen, das Ressort Soziales und Bürgerdienste an die CDU. Wie schon in der vergangenen Legislaturperiode soll nach Informationen der Berliner Morgenpost wieder der CDU-Politiker Carsten Spallek im Bezirksamt sitzen.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Vereinbarung ist die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. „Wir erkennen die deutsche Kolonialvergangenheit an und fördern die Erweiterung der Erinnerungskultur um die kritische Aufarbeitung dieser“, heißt es in dem Papier. Zudem unterstützen Grüne und SPD die wirtschaftlich umsetzbare Weiterentwicklung des Flussbads.

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