Tagesspiegel Checkpoint vom 04.10.2021

Um sich einer Antwort zu nähern, schauen wir uns mal die neue Teilung der Stadt an – und zerlegen die Wahlergebnisse nicht nach Bezirken, sondern nach Innen und Außen. Und da wird es spannend:

In „Bullerbü“ (Giffey, Jarasch), also innerhalb des S-Bahn-Rings, sind die Grünen die letzte Berliner Volkspartei: Sie erreichen hier 30,1 Prozent. Keine andere Partei kommt in einem Bezirk auf einen höheren Wert. Zusammen mit der Linken, die hier 18,4 Prozent holte, hätten die Grünen, gäbe es diese Verwaltungseinheit, eine bequeme Mehrheit zum Durchregieren. Und gäbe es das Bullerbü-Parlament, es würde nicht einmal gestört durch Pöbeleien von rechts: Die AfD sammelte innerhalb des S-Bahn-Rings nur 3,7 Prozent der Stimmen ein. Allerdings leben hier auch nur 613.000 Wahlberechtigte.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich beim Blick auf die Ergebnisse außerhalb des S-Bahn-Rings, dem Berlin der Villen und Plattenbauten, der Seen und Gewerbeflächen, der großen Straßen und der schlechten Verkehrsanschlüsse. 1,7 Millionen Wahlberechtigte leben hier, fast dreimal so viele wie in der Innenstadt. Die SPD liegt in Außenberlin mit 22,9 Prozent vor der CDU (21), die Grünen kommen mit 14,2 Prozent nur auf Platz 3, gefolgt von der Linken (12,2).

Diese Teilung der Stadt, die noch nie so sichtbar war wie nach der Wahl 2021 – oder sagen wir besser: nach diesen fünf Jahren Rot-Rot-Grün –, muss eines der wichtigsten Themen sein für eine neue Koalition. Eine Regierung, die diese Entwicklung entweder nur hinnimmt oder nach rein parteilicher Opportunität mit ihr umgeht, ist schlecht für Berlin.

Vor diesem Hintergrund sortiert sich die Koalitionsfrage anders als auf dem Rechenschieber. Eine „Deutschland-Koalition“ wäre kein Zukunftsbündnis, sondern eine Kampfansage an die „grüne“ Innenstadt. Die organisierte Unzuständigkeit würde perpetuiert statt aufgelöst. Es wäre für Giffey auch eine Kampfansage an die eigene Partei. Selbst dann, wenn sie mit einem solchen Bündnis im Dezember den Parteitag übersteht, kann sie sich ihrer Mehrheit nie sicher sein. Gerade mal vier Stimmen mehr als nötig hätte ein solches Bündnis nach derzeitigem Stand – ein ständiges Freudenfest für Heckenschützen aus allen Koalitionsfraktionen, die bisher einander nicht gerade zugetan waren. So lässt sich Berlin nicht in eine besser funktionierende Zukunft führen.

Der Tagesspiegel im Internet: www.tagesspiegel.de