Direkte Demokratie ist ein hohes Gut. Diese funktioniert aus meiner Sicht aber nur, wenn in einem Volksentscheid nicht verschiedene Themen vermischt werden, sondern eine klare Frage gestellt wird und auch genau diese Frage beantwortet wird. Denn die einzelne Wählerin und der einzelne Wähler kann in der Wahlkabine nur mit Ja oder Nein abstimmen. Daher ist es so wichtig, die konkrete Frage des Volksentscheids in den Mittelpunkt zu stellen. Andernfalls kann das Instrument der direkten Demokratie nicht so wirken, wie es soll.
Berliner Zeitung vom 23.09.2021 von Iris Spranger

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Frage, die am Sonntag gestellt wird, lautet nicht: „Wollen Sie bezahlbaren Wohnraum?“ Das wäre die Frage nach dem Ziel. Auch wenn das auf Plakaten der Initiative zu lesen ist und teilweise so in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Die Frage im Volksentscheid ist eine andere. Sie lautet: „Sollen Wohnungsunternehmen ab 3000 Wohnungen enteignet werden?“ Und damit steht also nicht die Entscheidung über ein Ziel auf dem Wahlzettel, sondern die Entscheidung über ein Instrument. Diese Unterscheidung ist sehr wichtig, denn das Ziel von bezahlbarem Wohnraum teilt die SPD hundertprozentig.

Bei der Frage nach dem Instrument hat sich die SPD Berlin in einem Parteitagsbeschluss klar gegen den Vorschlag der Volksinitiative ausgesprochen. Denn auch wenn das Wort Enteignung nach einer starken Wirkung klingt: Enteignungen haben drei gravierende Nachteile, die einem Ja entgegenstehen: Sie sind ein schwaches, ein unsicheres und ein teures Instrument in der Wohnungspolitik.

Enteignungen sind schwach, weil sie nur einen geringen Anteil der Berliner Mieterinnen und Mieter schützen. Wer bezahlbaren Wohnraum für alle verspricht, dann aber nur jede fünfte Wohnung in kommunales Eigentum überführen will, der lässt vier von fünf Miethaushalte im Regen stehen. Das heißt: für vier von fünf Haushalten ändert sich durch eine Enteignung gar nichts.

Enteignungen sind rechtlich unsicher, weil die Frage, nach welchen Kriterien und zu welchem Preis enteignet werden darf, ungeklärt ist. Die Gerichte werden genau prüfen, wieso eine willkürliche Grenze von 3000 Wohnungen als Enteignungskriterium ausreichen soll. Auch die Entschädigungshöhe wird Gegenstand langwieriger Gerichtsverfahren sein. Wer in einer der betroffenen Wohnungen wohnt, hat also nach einer Enteignung eventuell sogar mit mehr Unsicherheiten umzugehen als vorher.

Enteignungen sind teuer. Laut offizieller Schätzungen, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen erstellt hat, kosten die Enteignungen ca. 30 Milliarden Euro. Das ist so viel, wie das gesamte Land Berlin in einem Jahr ausgibt. Die schmerzlichen Erfahrungen der Schuldenkrise in den Nullerjahren sollte niemand vergessen.

All diese Nachteile sprechen aus Sicht der SPD Berlin klar gegen eine Enteignung. Ein Instrument, das für enorme Kosten nur wenige schützt, ist keine gute Investition. Insbesondere nicht, wenn mit deutlich günstigeren und effektiveren Mitteln mehr erreicht werden kann. Denn am 26. September wird auch ein neuer Bundestag gewählt. Mit der SPD als stärkster Kraft besteht die Möglichkeit, Mieterschutz per Gesetz für alle zu wählen und nicht mit viel Geld für einige Wenige zu erlangen.

Iris Spranger ist Sprecherin für Mieten, Bauen und Wohnen der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

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