Die auf den Lustgarten ausgerichtete Nordseite des Humboldt Forums wird die am häufigsten fotografierte sein. Vieles muss hier noch gemacht werden. Und was ist mit dem Verkehr ?
Berliner Morgenpost vom 27.07.2021 von Isabell Jürgens

Als der Bundestag vor 19 Jahren die Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses auf den Weg brachte, geschah dies vor allem mit dem Ziel, „die große städtebauliche Wunde im Herzen von Berlin zu heilen“, wie es Vittorio Lampugnani, Vorsitzender der Architekturjury für das Berliner Schloss , anlässlich des Wettbewerbs für den Wiederaufbau 2008 formulierte. Umso mehr lohnt es sich, nach der Eröffnung des teuersten Kulturgebäudes seit der Wiedervereinigung bald zwei Jahrzehnte später zu schauen, ob sich die Erwartungen erfüllt haben. Hat das Schloss tatsächlich die Wunden in Berlins unwirtlicher Mitte geheilt? Heute eine Erkundung und Annäherung von der Lustgarten-Seite (Norden). Die anderen drei Seiten folgen in den nächsten Tagen.

Wer sich dem Humboldt Forum von Norden aus nähert, die Museumsinsel und das Alte Museum im Rücken, den Berliner Dom zur Linken, blickt über großzügige Rasenflächen des Lustgartens hinweg auf eine blitzsauber rekonstruierte Barockfassade. Das Schloss leuchtet gerade im Kontrast zum ehrwürdig ergrauten Berliner Dom besonders hell mit seinem zartgelben Putz und dem aus hellem Sandstein gefertigten üppigen Fassadenschmuck. Dass die Fassade mit ihrer imposanten Länge von 185 Metern nicht eintönig wirkt, ist insbesondere den beiden prächtigen Portalen IV und V zu verdanken – und der sogenannten Eosanderschulter, einem Wandvorsprung, der den von der Kuppel gekrönten Westflügel betont.

Doch je mehr sich der Betrachter dem Schloss nähert, desto mehr schiebt sich störend der Verkehr einer Großstadt ins Sichtfeld. Kein Wunder: Die Bundesstraße B2 trennt in Verlängerung der Straße Unter den Linden mit je zwei Fahrspuren plus einer Busspur den Lustgarten vor dem Alten Museum vom Schloßplatz ab. Und nichts deutet darauf hin, dass sich das noch ändern soll.

Es gibt noch keinen Plan für die Umfeldgestaltung
Dabei hatte das Land Berlin 2013 einen Siegerentwurf im Realisierungswettbewerb „Freiraumgestaltung Umfeld Humboldt Forum“ gekürt, der eigentlich etwas ganz anderes vorsah. Nach den Plänen des Berliner Büros BBZ Landschaftsarchitekten sollte die Beziehung zum Lustgarten „durch einen durchgehenden Plattenbelag, der die Fahrspur auf der exakten Breite des Lustgartens leicht anhebt“ sichtbar gemacht – und für die zu erwartenden Touristenströme dadurch auch sicherer werden. Schon heute stauen sich die Besucher an einer ampelgestützten Fußgängerfurt – dabei sind die Touristenströme im Zuge der Corona-Pandemie noch längst nicht wieder auf Vorkrisenniveau. Die Stiftung Humboldt Forum erwartet etwa 3,5 Millionen Besucher im Jahr.

Doch es ist wie so oft in Berlin : Den Ankündigungen folgen erstaunlich häufig wenige oder gar keine Taten. Und so ist es eigentlich auch nicht verwunderlich, dass der rot-rot-grüne Senat im Koalitionsvertrag von 2016 sich sogar noch ehrgeizigere Ziele setzte: „Das Umfeld des Humboldt Forums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet. Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes“, so steht es dort geschrieben. Auf Nachfrage in der Behörde der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther heißt es dazu wenig erhellend: „Insgesamt wurden aufgrund der anhaltenden städtebaulichen Entwicklungen im Umfeld des Humboldt Forum noch keine abschließenden verkehrlichen Aussagen getroffen.“ Im Klartext: Berlin hat (noch) keinen Plan.

Hat der Besucher erst einmal die B2, die in diesem Abschnitt Karl-Liebknecht-Straße heißt, an der Fußgängerampel überwunden, rücken immer mehr Details ins Bild. Etwa die überlebensgroßen Adler im Hauptgesims. Oder – leicht an ihrer deutlich dunkleren Färbung zu erkennen – originale Schloss-Skulpturen, die im Portal V wieder eingepasst wurden.

Dass dies beim Lustgartenportal – dem Portal IV – nicht der Fall ist, hat einen besonderen Grund: Weil Arbeiterführer Karl Liebknecht vom Balkon des Portals am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausgerufen haben soll, wurde das weitgehend erhaltene „Liebknechtportal“ in die Fassade des von 1962 bis 1964 erbauten Staatsratsgebäudes der DDR integriert. Und so kann der Besucher das Portal IV, nur wenige hundert Meter entfernt, an der Fassade des Gebäudes am Schloßplatz 1, in der heute die European School of Management and Technology (ESMT) ihren Sitz hat, gleich noch einmal besichtigen.

Aber zurück zur Lustgarten-Seite, zum nördlichen Schloßplatz: Wer sich die Zeit nimmt und nicht gleich durch eines der beiden Portale ins Gebäude geht, sondern sich das Areal vor dem Schloss einmal genauer betrachtet, entdeckt an der Nordostecke einen kleinen Baum -Hain. Die 13 jungen amerikanischen Gleditschien – auch Lederhülsenbaum genannt – stehen auf einer Fläche von grauem Schotterkies und sollen nach dem Konzept der BBZ Landschaftsarchitekten an den Grundriss des früheren Apothekerflügels erinnern. Die erst acht Meter hohen Bäume können ausgewachsen bis zu 20 Meter erreichen und gelten als „robust und klimaresistent und wirken mit ihren gefiederten Blättern leicht und transparent“, beschreibt Ellen Kallert vom Büro BBZ die Vorzüge.

Hochbeete mit Stauden und kleinen Birken
Weiteres Grün findet sich entlang der Lustgarten-Front zwischen den zwei Portalen. Dort schließen sich zwei 40 Meter lange Hochbeete mit Stauden und kleinen Birken an, zwischen denen man hindurchgehen und auf den dort aufgestellten Bänken ausruhen kann.

Bei der Auswahl der Pflanzen hat sich die Landschaftsarchitektin von Alexander von Humboldt inspirieren lassen, der von seinen Reisen nach Eurasien, Nord- und Südamerika ausführliche Pflanzenbeschreibungen mitbrachte. Doch Hinweisschilder an den Pflanzen fehlen: „Wir werden noch Schilder aufstellen, die die drei unterschiedlichen Pflanzenbilder erklären“, verspricht Kallert.

Die Humboldt-Terrassen genannten Hochbeete nehmen Bezug auf die von Gartenkünstler Peter Joseph Lenné entworfenen zwei Schloss-Terrassen, die in den Jahren 1844 bis 1846 vor das Gebäude gebaut wurden. Ihr damaliger Zweck war vor allem, den Höhenunterschied des Geländes auszugleichen und den Straßenverkehr abzuschirmen. Diese Funktion erfüllen die heutigen Beete ebenfalls, sie schaffen eine kleine grüne Oase der Ruhe. Nach Abschluss der Restarbeiten auf der Nord-West-Ecke soll 2022 eine weitere, mit 80 Meter etwa doppelt so lange Terrasse, die sich von Portal IV bis zur Ecke Schloßfreiheit erstreckt, folgen. Die Bepflanzung wird mit den gleichen Pflanzen erfolgen, die bereits in der Nachbarterrasse wachsen. Bis Frühjahr 2022 soll auch die West-Terrasse fertiggestellt sein, verspricht die für den Bau zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung .

An der westlichen Schlossseite fehlen indes nicht nur die Terrassen, sondern auch die gesamte Pflasterung. Denn damit das rekonstruierte Schloss – anders als sein Vorgängerbau – energetisch modernen Anforderungen genügt, soll zusätzlich zur Fernwärme oberflächennahe Geothermie zur Wärme- und Kälteversorgung genutzt werden. Dafür werden derzeit an der Nord-West-Ecke 100 Meter tiefe Löcher für insgesamt rund 60 Sonden gebohrt.
In diesen soll später Wasser zirkulieren, erklärt Hans-Dieter Hegner, Vorstand für den Baubereich der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss . Das Prinzip: Im Sommer soll die Wärme aus dem Gebäude über die Sonden in der Erde gespeichert werden. Im Winter soll sie dann wieder nach oben geholt und zur Beheizung des Gebäudes genutzt werden. „Aufgrund der U-Bahn- Baustelle konnten wir erst jetzt mit den Arbeiten beginnen“, erläutert Hegner. Der neue U-Bahnhof Museumsinsel wurde erst am 9. Juli eröffnet, er liegt an der Nord-West-Ecke des Stadtschlosses. Läuft alles wie geplant, ist im Sommer 2022 auch die Geothermie- Baustelle abgeschlossen und die westliche Schloss-Terrasse gebaut, versichert der Bau -Vorstand.

Übrigens: Viele Berliner hätten sich gewünscht, dass die Rossebändiger, die seit 1844 vor dem Portal IV die Schloss-Terrasse zierten und 1945 in den Kleistpark nach Schöneberg versetzt wurden, wieder an ihren angestammten Platz zurückkehren. Ganz ausgeschlossen ist das nicht: Die Voraussetzungen für die Rückkehr der beiden Bronzefiguren wurden immerhin vom Land Berlin geschaffen: Die Fundamente für deren Rückkehr sind gelegt.

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