Fehlender Wohnungsbau, autofreie Friedrichstraße und Flussbad : Darüber debattierten Mittes Bezirkspolitiker im Live-Talk.
Berliner Morgenpost vom 03.06.2021 - von Julian Würzer

Der Bezirk Berlin -Mitte, das ist der Regierungsbezirk, das sind weltbekannte Straßen und Plätze wie Unter den Linden oder der Alexanderplatz. Mitte ist aber Gentrifizierung am Hackeschen Markt, soziale Probleme in Moabit oder Drogenprobleme auf dem Leopoldplatz in Wedding. Insgesamt leben 383.000 Menschen im Zentrum Berlins . Doch wer macht die beste Politik für den Bezirk?

Unter dieser Frage stellten sich am Donnerstagabend Bezirkspolitiker der verschiedenen Parteien, Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), Christoph Keller (Linke), Bastian Roet (FDP), Carsten Spallek (CDU) und Sascha Schug (SPD) live bei einer Veranstaltung der Berliner Morgenpost und der Friedrich-Naumann-Stiftung vor. Moderiert wurde die Online-Diskussion von Gilbert Schomaker, dem stellvertretenden Chefredakteur der Berliner Morgenpost.

In Mitte ist in den vergangenen zehn Jahren zu wenig gebaut worden

Ein großes Thema des Abends war der Wohnungsbau im Bezirk. Keller sagte, der Bezirk müsse noch mehr Einfluss auf Investoren nehmen, damit Mieterinnen und Mieter in Mitte nicht verdrängt werden. Allerdings sehe er auch Beispiele, wo Investoren etwa im Sinne der Menschen vor Ort handeln.

Während Keller eher eine ablehnende Haltung gegenüber privaten Investoren zeigte, machte sich CDU-Politiker Spallek gerade für sie stark. „Wir brauchen privaten Investoren, weil sie Geld mitbringen und Arbeit schaffen“, sagte er. Das wiederum schaffe Sicherheit in der Gesellschaft. Aber er machte auf ein ganz anderes Problem aufmerksam. In den vergangenen zehn Jahren sei in Berlin zu wenig gebaut worden, so Spallek.

Grünen-Bezirksbürgermeister von Dassel sah das ähnlich. Als Beispiel nannte er das neuentstehende Stadtviertel Europacity in der Nähe des Hauptbahnhofs. „Da haben wir viele Wohnungen völlig an unseren Bedürfnissen vorbeigebaut“, sagte er. Der FDP-Spitzenkandidat Bastian Roet nutzte die Auftaktrunde, um Kritik am jetzigen Berliner Senat und der Bezirkspolitik zu üben. Ihm zufolge seien in Mitte rund 350.000 Quadratmeter unbebaut. „Wohnungen schafft man durch bauen und nicht durch Ausüben des Vorkaufsrechts“, sagte er. Doch wie kann man Wohnraum schaffen? SPD-Politiker Schug brachte sogar eine Bebauung des Zentralen Festplatzes in Wedding ins Spiel. „Es ist eine zentrale Fläche in Berlin , die nur wenige Male im Jahr genutzt wird“, sagte er.

SPD will rollenden Verkehr von der Friedrichstraße nehmen

Eine Diskussion regte Keller an, indem er kritisierte, dass die Mitte des Bezirks leblos sei. Sie könnte nicht nur für Menschen sein, die einen gefüllten Geldbeutel hätten. Dem widersprach von Dassel entschieden. „In der Spandauer Vorstadt oder der Luisenstadt lebt es sich mindestens so gut wie in Gesundbrunnen.“ Allerdings müsse der Bezirk künftig mit Bebauungsplänen mehr Einfluss auf Investoren nehmen, so von Dassel. Wenn man 20 Prozent preiswerten Wohnungsbau wolle, dann müsse man sich auch dafür stark machen.

Eine Zuschauerfrage lenkte die Diskussion auf das Projekt „autofreie Friedrichstraße “. Schug sagte, die Friedrichstraße müsse man weiterdenken, um Aufenthaltsqualität zu schaffen. „Vielleicht müssen wir den rollenden Verkehr komplett rausholen.“ Roet hingegen hält den Verkehrsversuch für einen weiteren Nadelstich gegen den Autoverkehr. Von Anfang an sei keine Flaniermeile geplant gewesen, wirft er von Dassel und der Grünen Senatsverkehrsverwaltung vor „Man will nur sehen, was passiert, wenn ein Verkehrsteilnehmer ausgesperrt wird“, sagte er. Auch Spallek sah den Versuch als ideologisch belastet.

Von Dassel hingegen verteidigte die „Flaniermeile“ mit der breiten Radspur in der Mitte und sah etwas positives in der angeheizten Diskussion. Ihm zufolge sei die Friedrichstraße vor dem Versuch auf dem „absteigenden Ast“ gewesen, man habe befürchtet, dass der letzte große Ankermiete, die Galeries Lafayette wegzieht. „Nun hat die Friedrichstraße ein anderes Image und ist wieder in der Diskussion“, so von Dassel.

von Dassel: Wer Klimakrise ernst nimmt, kommt mit Kuschelkurs nicht weiter

Doch nicht nur die Friedrichstraße ist in der Diskussion. Auch Unter den Linden soll die Straßenfläche neuaufgeteilt werden, die Mühlendammbrücke soll auf Jahre gesehen für den Autoverkehr verkleinert werden und die Spandauer Straße soll, zumindest nach vorläufigen Planungen , zu einer Grünflächen werden. Ideen, die Linken-Bezirksbürgermeisterkandidat Keller „charmant“ fand und aus seiner Sicht Aufenthaltsqualität in Mitte schaffen könnte. Roet hatte da eine ablehnendere Haltung. „Ich bezweifle den Sinn des Rausnehmens von Fahrspuren für den Autoverkehr“, sagte er.

Mitte sei eben der Innenstadtbezirk Berlin , mit vielen Arbeitsplätzen, der viele Pendler anziehe. „Wir müssen eher das Umfeld attraktiv machen, Fahrradstellplätze an S-Bahn-Stationen schaffen.“ Von Dassel sagte dazu, dass man nicht verhindern könne, dass sich Leute in den Stau stellen. „Aber wenn man die Klimakrise ernst nimmt, dann kommt man mit dem Kuschelkurs nicht weiter.“ Berlin im Ganzen denken, müsse man laut Spallek. Es gebe viele Schnittstellen am S-Bahn-Ring oder an Park/Ride-Plätzen, die auch andere Bezirke beträfen. „Das kann man in Mitte gar nicht alleine denken.“

Schließlich kam in der Runde noch auf das Thema Flussbad zu sprechen. Die CDU hält das Projekt nach wie vor für „sehr sympathisch“. Auch die SPD unterstütz das Projekt. „Ich glaube nicht, dass es die Würde des Ortes verletzt“, so Schug. Linken-Politiker Keller sagte: „Schwimmen ja, Party nein.“ Etwas differenzierter betrachteten es die beiden Politiker von FDP und Grüne. Sowohl von Dassel wie auch Roet halten die Vorstellung für toll, aber haben Zweifel wegen der anfallenden Kosten. „Da ist mir die Sanierung der vorhanden Schwimmbäder wichtiger“, sagte von Dassel.

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