Berliner Denkmalschützer protestieren weiter für den Bestand des Gasometers in Schöneberg. Sie finden: Dieses herausragende Technik-Monument muss bleiben.
Berliner-Zeitung vom 16.04.2021 von Nikolaus Bernau

Berlin Stadtgas prägte ab dem mittleren 19. Jahrhundert die moderne Vorstellung, dass Städte der Nacht widerstehen können. Doch unter dem Druck der effizienteren Elektrizität begann sein Rückzug schon in den 1920ern, auch in Berlin sind die meisten, oft überaus monumentalen Gaswerke längst verschwunden. Jetzt ist auch der legendäre, fast 80 Meter hohe Gasometer in Schöneberg akut bedroht. Jedenfalls nach Ansicht von vielen Anwohnern. Technikhistoriker, Denkmalpfleger und Stadthistoriker sind ebenfalls dieser Meinung.

Der Gasometer ist der letzte zumindest in der Außengestalt noch erhaltene Teleskop-Gasspeicher Berlins und einer der wenigen, die in Europa noch stehen. Zwar wurden die inneren Segmente, die sich einst je nach gespeicherter Gasmenge anhoben, in den 90er-Jahren demontiert und stattdessen ein vergleichsweise niedriger Veranstaltungssaal unter einer Kuppel eingebaut; er wurde kürzlich ebenfalls abgerissen. Die gewaltige, weithin sichtbare Gerüstkonstruktion aber, die einst einen der größten Gasspeicher Europas stützte, steht noch.

Ein Monument der Gasgeschichte
Von 1908 bis 1910 errichtete die Berlin -Anhaltische Maschinenbau AG dieses Monument der Gasgeschichte. Seine städtische Wirkung war immens, weithin sichtbar in den Straßen Schönebergs, am S-Bahn-Ring bis hin nach Steglitz, zum Fernsehturm und zum Funkturm. Der Maler Lionel Feininger wurde davon so sehr inspiriert, dass er 1912, noch vor der Inbetriebnahme 1913, den Gasometer in einem großartig flammenden Stadtpanorama festhielt – ein Hauptwerk der Sammlungen des Berliner Stadtmuseums.

Charakteristischerweise zeigte Feiniger den Bau nur mit etwa zu zwei Dritteln hochgeschobenen Innentankwänden – sonst wäre die Monumentalität des Gerüsts gar nicht deutlich geworden. Nach dem Willen von Reinhard Müller, der 2007 das einstige Gelände des Gaskraftwerks Schöneberg gekauft hat, soll nun aber in genau dies Stahlgerüst ein gewaltiges, mindestens 71,5 Meter hohes, trommelförmiges, den vagen Zeichnungen nach weitgehend mit dunklen Scheiben verglastes Bürogebäude gestellt werden. Der neue Bebauungsplan wird derzeit von der Bezirksverwaltung geprüft, die Müller offenkundig wohlgesonnen ist.

Dabei würde das neue Gebäude das Gerüst bis auf den obersten Ring ausfüllen und die Umgebungsbebauung um gut 50 Meter überragen. Ein veritables Hochhaus also, das schon durch seine tiefe Form eine erhebliche arbeitsschutzrechtliche und energetische Herausforderung ist: Es kann trotz aller Beschwörung von Umweltgerechtigkeit durch Reinhard Müller wohl nur mit Kunstlicht und künstlichem Klima betrieben werden.

Das Projekt trifft auf massiven Widerstand der Berliner Denkmalpflege. Sie befürchtet, im Bebauungsplanverfahren vom Bezirk zugunsten der Interessen des Investors „weggewägt“ zu werden. Das Gerüst steht seit 1994 auf der Denkmalliste. 2009 hat das Landesdenkmalamt, daran erinnerte Landeskonservator Christoph Rauhut nun im Gespräch mit der Berliner Zeitung, nur unter „Zurückstellung erheblicher denkmalpflegerischer Bedenken“ angesichts der ersten Pläne Müllers, die eine Innenbebauung mit 57 Metern Höhe vorsahen, zugestimmt. Es hieß aber: Mindestens „die obersten beiden Gerüstringe und die drei obersten Konstruktionsringe müssen sichtbar bleiben“.

Im vorigen Jahr protestierte der durchaus investorenfreundliche Berliner Landesdenkmalrat nochmals gegen den Ausbauplan Müllers: Er sei „nicht angemessen“, die Vorgaben des Landesdenkmalamts und die Empfehlungen des Landesdenkmalrats würden von den Behörden und vom Investor ignoriert. Dabei zeige die „zunehmende Seltenheit dieses Bautyps “, wie wichtig die Erhaltung des Schöneberger Gasometers sei. Zunehmend debattiert wird inzwischen auch, ob Reinhard Müller die Pflegeauflagen erfülle, die mit dem Verkauf des Geländes an ihn verbunden waren: Das Gerüst zeige, sagen Fachleute, die nicht genannt werden wollen, inzwischen massive Vernachlässigungsspuren, selbst konstruktiv wichtige Stellen seien durch Rost beschädigt.

In den Werbegrafiken des Investors – auch die Berliner Zeitung publizierte sie in der jüngsten Wochenendausgabe – sieht es zwar so aus, als bliebe bei einer neuen Bebauungshöhe von 71,5 Metern wenigstens der letzte Ring transparent. Doch tatsächlich, moniert Elisabeth Ziemer, Vorsitzende des rührigen Bürgervereins Denkmal-an- Berlin , verfälschten diese Zeichnungen den künftigen Eindruck des Denkmals massiv: Müller plane zusätzlich Staffelgeschosse mit hohen Hauben und einer konkaven Abdeckung. Die für die Denkmalpfleger so wichtige Fernsicht würde also fast vollständig verstellt werden.

Schon die Grenze von 57 Metern ist für Ziemer „ein großes Zugeständnis der Denkmalpflege“. Es gebe schließlich nur noch sehr wenige solcher einst in allen europäischen Städten üblichen Bauten; die Website des Vereins hat eine großartige Übersicht dazu hergestellt. Keiner dieser Speicher, etwa in Rom, London, Helsinki oder Leipzig, sei mit einem Neubau innerhalb des Gerüsts ausgefüllt worden. Die immer wieder als Vorbild für Berlin genannten Gasspeicher in Wien seien Ziegelbauten, also ganz anders konstruiert. In Zürich habe eine Enthusiastin sogar erreichen können, dass der Schiebetank des noch verbliebenen Speichers weiter betrieben werden könne.

Zudem, so Ziemer, sei die Nutzung als Bürogebäude „banal“. Wenn der Bezirk trotzdem für Müllers Plan plädiere, müsse man eine Klage für den Schutz des Gasometers erwägen. Das Projekt sei der europäischen Bedeutung des Denkmals Schöneberger Gasometer „nicht angemessen“: „Eigentlich darf man hier gar nicht bauen.“

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