Der Tagesspiegel vom 16.04.2021 von Ralf Schönball

Wenn ein Fußballspiel 8:0 ausgeht, nennt man das eine Klatsche. Wenn acht Richter des Bundesverfassungsgerichts ohne Gegenstimme ein Gesetz wie das zum Berliner Mietendeckel für „nichtig“ erklären, weil es gegen die Verfassung verstößt, ist das ein Desaster für den Gesetzgeber und ein Tiefschlag für die rot-rot-grüne Koalition.

Wer immer schon Zweifel hatte, unkt nun, der Senat habe den Verstoß gegen die Verfassung wissentlich in Kauf genommen. Andererseits steht das eindeutige Votum aus Karlsruhe durchaus im Gegensatz zu den unterschiedlichen juristischen Expertisen, die es für Berlin gab. Und doch: Ein ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichts hatte das Gesetz für verfassungswidrig erklärt, und auch ein Gutachter, den die Senatskanzlei selbst beauftragt hatte. Beide hatten gewarnt: Der Mietendeckel geht so nicht.

Mietrecht ist Sache des Bundes. Der hat einen „Interessenausgleich“ zwischen Mietern und Vermietern geschaffen. Wer den verändern will, braucht dafür Mehrheiten: und zwar im Bund. Berlin ist nicht das kleine wehrhafte Dorf mit eigenen Regeln. Aber die Stadt kann sich ebenso wenig den Kräften des Marktes entziehen, der den Mangel an Wohnungen mit steigenden Mieten quittiert.

Die Politik kann aber sehr wohl etwas tun, sie kann bauen . Aber das trieb die von der Linken verantwortete Stadtentwicklung allenfalls halbherzig voran. Statt mehr sind weniger Wohnungen im Angebot, statt mehr genehmigten die Bauämter weniger neue Wohnungen als in der letzten Legislatur. Die Not wächst – und R2G fand dagegen kein Rezept. Dennoch war die „Nothilfe“, wie Senatsvertreter den Deckel nennen, ein Weckruf. Denn Wohnungsnot herrscht nicht nur in Berlin , sondern in vielen deutschen Städten. In Potsdam entsteht ein Bürgerbegehren gegen Mietsteigerungen. Und der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main will einen Mietenstopp herbeiführen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung nun auch abgewendet, dass in Deutschland ein Patchwork unterschiedlicher regionaler Mietgesetzgebungen entsteht.

Am Kern des Übels, dem Mangel an bezahlbaren Wohnraum, ändert das alles nichts. Seit Jahren verhallen Aufforderungen von Verbändebündnissen, deutschlandweit wirksame Anreize zum Bau bezahlbarer Wohnungen zu schaffen. Die Mietpreisbremse des Bundes und deren seit 2020 geltende Verschärfung kamen zu spät, und sie bewirkten zu wenig. Was die Kommunen brauchen, ist ein Gesetz, das ihnen einen Mietenstopp für einen begrenzten Zeitraum erlaubt, wenn Mangel an bezahlbarem Wohnraum herrscht.

Dafür, dass ein struktureller Mangel die Mieten steigen lässt, gibt es reichlich Anzeichen: In Großstädten steht nahezu keine Wohnung mehr leer, und seit Jahren nehmen deren Einwohnerzahlen stärker zu als die Angebote an Wohnungen. In der Folge steigen die Mieten schneller als die Einkommen. Diese Entwicklung macht das Leben zum Luxus, was nicht sein darf. Die Grünen forderten bereits ein bundesweites Recht auf einen Mietendeckel. Die Sozialdemokraten erwägen, mit dem Thema in den Wahlkampf zu gehen. Die politischen Farbenspiele, die nach den Wahlen im Herbst in diesem Land möglich werden, sind bunter denn je. Wie die Parteien die bestimmende soziale Frage der Zeit, nämlich die Wohnungsnot, lösen wollen, könnte für unentschlossene Wähler maßgeblich werden.

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