Die Sanierung des Flughafens Tempelhof ist ein Generationenprojekt. Doch Schritt für Schritt gelingt die Öffnung für die Bevölkerung.
Berliner Morgenpost vom 02.03.2021 - von Julia Lehmann

Berlin hat viele besondere Orte. Doch nur die wenigsten haben eine derart wechselvolle und bewegende Geschichte wie der Flughafen Tempelhof. Mehr als 80 Jahre sind seit seinem Bau bereits vergangen. In vielen Abschnitten der deutschen Geschichte spielte der Flughafen eine tragende Rolle. Die ersten Flugversuche, die Schrecken des Zweiten Weltkriegs sowie des Kalten Krieges sind genauso mit dem imposanten Gebäude verbunden wie die großen Momente der Solidarität zur Zeit der Luftbrücke der Alliierten. Unter den Nazis war er kurzzeitig das flächenmäßig größte Gebäude der Welt.
Jahrzehnte später gaben die großen Hangars Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, Schutz. Zugleich ist das Gebäude mit allein 300.000 Quadratmetern Nutzfläche Anziehungsort für etliche Veranstalter. Schillernde Galadinner, Musik- oder Sportveranstaltungen, der Flughafen hat schon oft bewiesen, wie vielfältig seine Hangars, Transitgänge und die Haupthalle genutzt werden können.
Als Folge des Volksentscheids von 2014 wurden Gebäude und Tempelhofer Feld voneinander getrennt, auch sichtbar. Das Feld sollte frei bleiben, hatten die Berliner damals entschieden. Die landeseigene Grün Berlin GmbH übernahm die Pflege des Feldes. Aber was wird aus dem Flughafengebäude? Bei der Schließung des Flughafens 2008 war das noch völlig ungewiss. Inzwischen gibt es Pläne, an deren Umsetzung die im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen tätige Tempelhof Projekt GmbH unermüdlich arbeitet. Mit der Gesellschaft wurden aus Ideen konkrete Zielsetzungen, aus Zielen wurden Tatsachen. Und trotz Pandemie konnten im vergangenen Jahr einige Meilensteine gesetzt werden.

Flughafen Tempelhof: Erstes Besucherprojekt „Check-In“
„Das Besucherzentrum ist der erste Teil, den wir für die Öffentlichkeit zugänglich machen konnten“, sagt Jutta Heim-Wenzler. Die Geschäftsführerin der Tempelhof Projekt GmbH kommt in einen regelrechten Redefluss, wenn es um die Pläne für den einst als „Mutter aller Flughäfen“ bezeichneten Airport geht. Im Februar 2020 konnte das „Check-In“ am zentralen Haupteingang eröffnet werden. Außerhalb der Pandemie kann dort die Ausstellung zur Flughafengeschichte „Ein weites Feld“ besucht werden. Auch die beliebten Führungen beginnen dort.
Derzeit im Umbau befindet sich der Kopfbau-West mit dem ehemaligen Tower. Ganz oben des sechsstöckigen Gebäudes werden Besucher nach Fertigstellung einen Panoramablick über Flughafen, Feld und umliegende Stadt genießen können. In der Etage darunter findet die Ausstellung „Big Box“ Platz, für die es bereits ein kuratorisches Konzept aber noch keine Gelder gibt.

Die „schwebende Treppe“ des Towers
Ein bauliches Highlight wird die „schwebende Treppe“ sein. Das Treppenhaus des Towergebäudes mit der bestehenden muss mit einer zweiten Treppe überbaut werden, damit Statik und Tragfähigkeit gewährleistet sind. „Wir lernen immer etwas Neues von dieser Baustelle “, sagt Jutta Heim-Wenzler. Ständig gebe es neue Überraschungen. So habe man beispielsweise die Fassade des Towers gar nicht sanieren wollen. Im Laufe der Arbeiten wurde aber klar, dass auch dort „viel zu tun“ sei. Der Umbau des Tower-Gebäudes soll insgesamt 30,8 Millionen Euro kosten. Die Eröffnung ist für Mitte 2022 geplant.
Wie schwierig und ressourcenfordernd das Großprojekt Flughafen Tempelhof ist, haben Untersuchungen der Bausubstanz spätestens 2019 deutlich gemacht: Der Flughafen ist einem desaströsen Zustand, viele Bereiche sind nicht betriebssicher. „Der Flughafen wurde schnell gebaut, aber nie fertiggestellt“, sagt die Gesellschaftschefin. Allein für die Sanierung der mächtigen Hangars fallen gut 132 Millionen Euro an. Etliches in den Gebäuden befindet sich noch immer im Rohbauzustand, dazu die lange und bewegte Geschichte des Flughafens, der Denkmalschutz sowie unterschiedliche Nutzungen. Eine herausfordernde Kombination, die die Öffnung des Tempelhofer Flughafens zu einem Projekt macht, das mehrere Generationen begleiten wird, sagt Jutta Heim-Wenzler.

Bei der Schließung des Flughafens Tempelhof war seine Zukunft ungewiss
Das Problem ist hausgemacht. Schon Jahrzehnte vor der Schließung waren keine Investitionen mehr in den Flughafen geflossen. Und als Tempelhof 2008 dann geschlossen wurde, war nicht klar, was aus den 55 Hektar (plus 300 Hektar Feld) werden soll. Erste Schritte in Richtung Flughafenerneuerung ließen weitere Jahre auf sich warten.
Allein anhand des Towers werde deutlich, sagt Jutta Heim-Wenzler, dass man in einer Zeit der Mangelwirtschaft gebaut habe. Unterschiedliche Materialien in unterschiedlichen Qualitäten wurden hier verbaut. „Das Tragwerk befindet sich in einem desolaten Zustand.“ Das gesamte Flughafengebäude muss einmal komplett erneuert werden: Brandschutz, Elektrotechnik, Fassade und Dach. Ein Schadstoffgutachten steht noch aus und wird für das kommende Jahr erwartet.

Ausstellung „Living the City“ gehört zu den Höhepunkt 2020
Ein gutes Beispiel für den Zustand des Flughafens ist auch die imposante Haupthalle. Sie überhaupt nutzbar zu machen, sei ein enormer Kraftakt gewesen, sagt Jutta Heim-Wenzler. „Wenn man sie sieht, denkt man, ist doch alles schick.“ Durch den Denkmalschutz , der im gesamten Areal gilt, darf kaum etwas verändert werden. Besucher finden also noch die Originalausstattung, darunter Kofferbänder und Desks, an denen die Passagiere betreut wurden. Doch die Halle hat ein Statikproblem, musste im vergangenen Jahr zunächst gesperrt und dann von unten gestützt werden.
Zurzeit wirkt die Halle verwaist. Seit Monaten steht dort eine bildreiche Ausstellung, die wegen des Lockdowns nur wenige Besucher überhaupt gesehen haben. Noch müssen Mitarbeiter und Besucher darauf warten, bis die Türen zur Ausstellung wieder geöffnet werden. Covid-19 hat auch den Flughafen und seine Veranstaltungen voll im Griff. Und doch gehört die Ausstellung „Living the City“ zu den Höhepunkten des vergangenen Jahres.

Heim-Wenzler: „Da hilft keine Sanierung mehr“
Wo aber fängt man bei einem so großen Aufgabenberg an? Im Rahmen des Nutzungskonzepts „Vision 2030+“, das der Senat im vergangenen Jahr beschlossen hatte, wurde der Flughafen in unterschiedliche Kategorien unterteilt. In jene, die als dauerhafte Nutzung gedacht sind, dazu zählen Büroflächen. Und solche, die als Eventflächen oder kulturelle Angebote zur Verfügung stehen sollen, also temporär wechselnd genutzt werden sollen. Bei der Sanierung Priorität haben jene 110.000 Quadratmeter, in denen Projekte geplant sind oder die derzeit vermietet sind. Allein die Polizei nutzt circa 50.000 Quadratmeter für sich. Damit die Räume der Polizei, um bei nur einem Beispiel zu bleiben, saniert werden können, müssen zunächst die vorübergehenden Ersatzräume erneuert werden. „Da hilft auch keine Renovierung mehr. Hier muss grundsaniert werden“, so Heim-Wenzler.

Dennoch sind die Mieter dem Flughafen treu geblieben. Neben der Polizei sind die Floating University, die Sigmund Freud Universität, die Fliegerwerkstatt, der Club Silverwings und viele weitere dort zu finden. Insgesamt haben sich gut 70 Unternehmen in den Gebäuden angesiedelt. Fünf bis sechs Millionen Euro nimmt Tempelhof Projekt jährlich durch Mieteinnahmen ein. Etwa 1,5 bis zwei Millionen Euro durch Veranstaltungen.

Mögliche Bebauung des Feldes beeinflusst auch den Flughafen
Denn die Kombination aus großzügiger Empfangshalle, halbüberdachten Hangars und Vorfeld zieht Veranstalter geradewegs an – zumindest die, die es sich leisten können. Für die Anmietung der Haupthalle allein verlangt die Gesellschaft für kommerzielle Veranstaltungen um die 15.000 Euro am Tag. Durch die Coronapandemie und die fehlende Planungssicherheit seien Veranstalter in diesem Jahr jedoch noch zögerlich. Sofern es das Infektionsgeschehen erlaubt, könnten die Formula E und die Kunstmesse Positions in diesem Jahr auf dem Flughafengelände stattfinden.
Einfluss auf zukünftige Großveranstaltungen hat auch die Debatte um eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes. War es sonst immer die Berliner FDP, die für eine Bebauung des Feldes plädiert hatte, zeigen sich nun auch CDU und SPD offen für den Wohnungsbau auf dem Feld. Beim Volksbegehren von 2014 stimmte die Mehrheit der Berliner gegen die Bebauung . Die FDP wirbt für ein neues Volksbegehren. Dann müsste auch das Tempelhofer Feld-Gesetz (ThF-Gesetz) erneuert werden, das jegliche Form der Bebauung untersagt. „Ich denke, das wird noch mal ein heftiges und intensives Thema“, sagt Jutta Heim-Wenzler. Inzwischen könne sie sich eine Randbebauung vorstellen, sagt sie mit Blick auf steigende Mietpreise. Diese könne auch zur Öffnung des Flughafengeländes beitragen.

Größte Herausforderung ist die Finanzierung von Sanierung und Projekten
Über all den Zukunftsvisionen zur Öffnung des Flughafens schwebt die Frage der Finanzierung. „Die Dringlichkeit der Sanierung wurde zwar erkannt, aber Gelder stehen nicht bereit“, sagt Heim-Wenzler. Aus Fördermitteln (Siwa) stehen 116 Millionen Euro zur Verfügung. Allein für den Betrieb des Flughafengebäudes werden jährlich zwölf Millionen Euro fällig, für die das Land Berlin aufkommen muss. Weitere zwölf Millionen Euro steckt Berlin jährlich in die Sanierung. Mehr Mittel hat der Senat derzeit noch nicht freigegeben. Inhaltliche Projekte sollen vor allem über Fördergelder abgedeckt werden. Die Akquise ist mühselig. Für die Geschichtsgalerie habe man Lottomittel beantragt. Eine Entscheidung stehe aber noch aus. „Die Finanzierung ist unser größtes Problem“, sagt Jutta Heim-Wenzler.
Besonders erwartungsvoll blickt man auf den Umzug des Technikmuseums aus Kreuzberg sowie des Alliiertenmuseums aus Dahlem nach Tempelhof. Für beide Museen, die sich auch mit der Luftfahrtgeschichte beschäftigen, werden Hangars im Westen des Gebäudes bereitgehalten. Im Falle des Technikmuseums wurde eine geplante Machbarkeitsstudie laut Jutta Heim-Wenzler zunächst zurückgestellt. „Nach dem Wechsel in der Museumsleitung wollen wir die weitere Zusammenarbeit zunächst abwarten“, sagt die Chefin. Einen kleinen Vorgeschmack bieten die durch das Technikmuseum restaurierten Flugzeuge, eine Iljuschin steht seit November 2020 in einem der Hangars.

Bis das Alliiertenmuseum umzieht, dauert es noch Jahre
Im Falle des Alliiertenmuseums werde es noch Jahre dauern, bis es nach Tempelhof umziehen könne, sagt Heim-Wenzler. „Der Bund bereitet aber gerade die Planungen sowie den Architektenwettbewerb vor.“
Weil man gut und gerne ein paar Kilometer auf dem Flughafengelände hinter sich bringen kann, soll nach und nach auch die gastronomische Versorgung der Besucher hinzukommen. Allein auf der geplanten Geschichtsgalerie auf dem Dach, die über die volle Flughafenlänge angelegt werden soll, legt man 1,2 Kilometer zurück – nur in eine Richtung. Zunächst soll der westliche Teil etwa bis zur Mitte ausgebaut, dann der östliche Teil und erst zum Schluss die Mitte mit einer Terrasse. Dort hat derzeit die Verkehrslenkung Berlin ihren Sitz. Aber auch hier reiche es nicht, allein die Galerie zu erneuern. Investiert werden müsse im selben Atemzug auch in die Treppenhäuser und in den Brandschutz. Eine Rundumerneuerung ist also auch hier gefragt. Wie überall auf dem Flughafen Tempelhof, bevor er, so hofft die Tempelhof Projekt, zu einer „Stadt in der Stadt“ für Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Verwaltungen werden kann.

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