Berlins früherer Senatsbaudirektor Hans Stimmann feiert 80. Geburtstag – und kritisiert die Planungen seiner Nachfolgerin.
Berliner Morgenpost vom 09.03.2021 - von Isabell Jürgens

Die höchste Ehre für sein Wirken wurde ihm zwar zuteil – doch zufrieden ist Hans Stimmann mit dem Erreichten keineswegs. 2009 wurde dem gebürtigen Lübecker, der als Senatsbaudirektor zwei Jahrzehnte maßgeblich die Hauptstadt gestaltete, das Bundesverdienstkreuz für sein „Bemühen um die Wiedergewinnung des Berliner Stadtgrundrisses als historisches Gedächtnis“ verliehen. Doch dass dieses Bemühen letztlich gerade im Zentrum der Stadt vergeblich war, grämt den streitbaren Sozialdemokraten, der an diesem Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert, noch immer.

„Die Stadtmitte und das Kulturforum, beides Projekte, die ich über viele Jahre mit viel Engagement begleitet habe, sind noch heute städtebauliche Unorte“, resümiert Stimmann, der auch nach seiner Pensionierung vor mittlerweile 14 Jahren mit Ausstellungen, Buchprojekten und Vorträgen unverdrossen für seine Vorstellungen von einer Metropole nach europäischem Maß wirbt.

Und so nimmt er sich denn auch zwischen Impftermin – „hat wunderbar geklappt, das Impfzentrum auf dem Messegelände ist hervorragend organisiert“ – und der Vorbereitung seines Geburtstags – „der findet coronakonform in Form eines gemeinsamen Spaziergangs mit engen Freunden statt“ – gern Zeit für ein Gespräch über Versäumnisse und Fehler in der Stadtentwicklungspolitik .

Unter dem Schlagwort „europäische Stadt“ versteht Stimmann, heruntergebrochen auf Berlin , die Rückkehr zum Vorkriegsgrundriss in Berlins abgeräumter historischer Mitte, die straßenbegleitende Blockrandschließung, die Orientierung an der einheitlichen Gebäudehöhe nach gründerzeitlichem Vorbild auf 22 Meter sowie die Abfolge von Straßen und Plätzen.

Da dies die Abkehr vom Architekturleitbild der Nachkriegsmoderne bedeutete und zudem die Gestaltungsmöglichkeiten erheblich einschränkte, galt Stimmann gerade vielen jüngeren Architekten fortan als unerbittlicher „Geschmacksdiktator“, der Gebäude nur noch mit langweiliger, steinerner Lochfassade ermöglichte und so „Posemuckel“ oder gar „Neuteutonia“ bauen wolle. Andere feierten ihn dagegen als „Retter der europäischen Stadt“.

Inzwischen jedoch haben sich die zum Teil heftig geführten Kontroversen überholt und der Blick auf sein unbestreitbares Verdienst frei gegeben: die durch Kriegszerstörung, Teilung und Umbau zur autogerechten Stadt entstandenen unwirtlichen Brachen und Schneisen möglichst dicht orientiert an den historischen Stadtgrundriss wiederherzustellen. Auch, wenn sich dieses Ziel gerade dort bis heute nicht durchsetzen ließ, wo es nach Stimmanns Auffassung am nötigesten gewesen wäre: in der historischen Mitte .

Wettbewerb zur Mitte-Gestaltung – eine „Realsatire“
Dass seine Nachfolgerin im Amt, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, gerade einen Ideen- und Realisierungswettbewerb „Freiraumgestaltung Rathaus- und Marx-Engels-Forum “ ausgeschrieben hat, empfindet er „beinahe als Realsatire“, die den Gründungsort Berlins zu einer Aufgabe für Gartenarchitekten degradiere: „Die Ausschreibung klingt ja, als ob es sich um irgendeine Grünanlage für Hellersdorf oder Kleinmachnow handelt und nicht um das Zentrum der Hauptstadt“, ätzt Hans Stimmann.

Der Wettbewerb in seiner jetzigen Form sei ein Beleg dafür, wie gründlich die historische Altstadt Berlins ausgelöscht wurde. „Das Problem der jetzigen Politiker, die mit diesen Unorten aufgewachsen sind, ist, dass sie diese gar nicht mehr infrage stellen“, meint der Stadtplaner, der von 1991 bis 1996 und von 1999 bis 2006 Berlins Senatsbaudirektor war.

Stimmanns Nachfolgerin hat andere Pläne
In dieser Zeit entstand das „Planwerk Innenstadt“, das als Basis für die weitere städtebauliche Entwicklung der Hauptstadt weitgehend den Stadtgrundriss vor 1939 vorgab. Mit dem „Planwerk Innere Stadt“ rückte seine Amtsnachfolgerin Regula Lüscher dann allerdings von diesem Leitgedanken für die historische Mitte ab. Die Schweizerin postulierte nun ihrerseits, dass Berlin in seiner historischen Mitte baulich kein einheitliches Bild biete – aber gerade diese von unterschiedlichen Zeitschichten und den Brüchen der Geschichte geprägte Vielfalt Maß der weiteren Entwicklung sein soll.

Überhaupt stehe in der Berliner Politik alles „Gründerzeitliche, die Schlösser und Gärten, eben auch alles Preußische“ unter Generalverdacht, meint Stimmann. Dabei gebe es „keine Stadt auf der ganzen Welt, die in ihrem Zentrum ein freies Feld ist – mit Ausnahme vielleicht von Kaliningrad, aber das ist keine Metropole“, lässt er nicht locker. Dass in Berlins Mitte nun das Humboldt Forum stehe, sei eine große Genugtuung. Das teilrekonstruierte Berliner Schloss sei allerdings auch kein Berliner Produkt, sondern einem Beschluss des Bundestags geschuldet. Die Berliner hätten den Raum wohl einfach leer gelassen. „Den heutigen Umgang mit Berlins abgeräumter Altstadt“ empfindet Stimmann daher auch als „schlimmste Niederlage, die man sich als Senatsbaudirektor nur vorstellen kann“.

Aufschrei der Empörung ist ausgeblieben
Viel Hoffnung, dass sich an dieser Einstellung noch etwas ändern werde, habe er indes nicht, sagt Stimmann weiter. Zumal der Aufschrei der Empörung aus der Stadtgesellschaft über den ausgelobten „Freiraum“-Wettbewerb weitgehend ausgeblieben sei. „Ich bin realistisch. Es bleibt wohl das Merkmal unserer Stadt, dass sie an ihre Geschichte nicht erinnert werden möchte“, sagt Stimmann. Für die Linken sei es schwierig, den Abriss von Berlin als Reaktion auf den Faschismus zu hinterfragen. Und auch seine SPD habe damit so ihre Probleme. Und zusätzlich noch ein weiteren blinden Fleck: „Die autogerechte Stadt West- Berlin war kein Projekt der CDU, wie manche vielleicht glauben, sondern eines der SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt“, erinnert Stimmann. Dass Wohngebiete in Kreuzberg und Wedding für die sogenannte Westtangente nicht auch noch abgerissen wurden, sei nur erheblichen Bürgerprotesten zu verdanken gewesen.

„Grüne beschäftigen sich lieber mit Radwegen“
Doch dass die Grünen, die immerhin seit fünf Jahren die Verkehrssenatorin stellen, nicht schon längst mindestens den Rückbau des überflüssigen Autobahnabzweigs am Hohenzollerndamm in Wilmersdorf, der an der Schildhornstraße in Steglitz endet, zu ihrer Sache gemacht hätten, sei erstaunlich. „Aber wahrscheinlich beschäftigen die sich lieber mit Radwegen“, vermutet er. Der Abriss der funktionslosen Autobahnbrücke über dem Breitenbachplatz sei zwar beschlossene Sache. Doch nicht nur die Brücke, sondern der gesamte Zubringer müsse zurückgebaut werden, fordert er.

Stimmann, der seine Vorstellungen von einer europäischen Stadt noch am ehesten auf dem Friedrichswerder zwischen Gendarmenmarkt , Hausvogteiplatz und dem Auswärtigen Amt sowie am Pariser Platz mit der Schaffung kleiner Grundstücksparzellen durchsetzen konnte, wird heute vor allem an der Bebauung des Potsdamer Platz und der Friedrichstraße gemessen. Beide haben ihre Mängel, räumt er ein. Jedoch: Wäre es in den 1990er-Jahren nach den Wünschen der Investoren und ihrer Architekten gegangen, wären statt geschlossener Straßenzüge allerorten um Aufmerksamkeit heischende Solitärbauten auf zugigen Abstandsflächen entstanden.

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