Bikinihaus in Berlin
Mit viel Wirbel hat in Berlin das Bikinihaus wiedereröffnet. In den Fünfzigern ein „Schaufenster des Westens", steht es nun für den Wiederaufstieg des „Zentrums am Zoo" - und für die Gefahr neuer Fehlplanung.
Frankfurter Allgemeine vom 08.04.2014 - von Dieter Bartetzko

Und dann zog sie den Bikini, den sie nirgends tragen kann, ganz alleine zu Hause in der Badewanne an!" Mit dieser parodierend gequakten Schlusszeile beseufzte 1960 Caterina Valente in ihrem Hit „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini" die kleinbürgerliche Prüderie der Adenauer-Republik. Eine mit Komik weichgespülte Ironie, die im selben Atemzug guthieß, was sie aufspießte. Dem gleichen Prinzip folgte der angeblich notorisch respektlose Berliner Mutterwitz, der drei Jahre zuvor den Bauriegel des neuen „Zentrums am Zoo" zum „Bikinihaus" ernannte.

Die Inspiration dieses kollektiven „Huch!"-Witzes gab die auffallende Zweiteilung des Baus: Zwischen eine erdgeschossige, mit einem Fensterband gekrönte Ladenreihe, vor der eine elegante Kolonnade mit extrem dünnen Rundstützen so eilig trippelt wie die weiland modischen Stöckelschuhe, und vier Bürogeschosse, das oberste so kapriziös wie eine Chanel-Kappe nach innen gerafft, hatten die Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger einen durchgängig offenen Laubengang geschoben. Dieses luftige Nichts, das dem Baukörper Schwebecharakter verlieh, führte als Zweiteiler die Phantasie findiger Werbetexter auf die Spuren des Bikinis.

Der Westen will Konsum-Terrain
Dass der Bau trotz seines piefigen Titels 1955 fast so mondän wie ein Entwurf des legendären Oscar Niemeyer konzipiert war, zeigt sich nun, da er, saniert und restauriert, wieder seine mit leuchtenden Farbakzenten und unbekümmerten Asymmetrien auffallenden 180 Meter Fassade präsentiert. In einer Hinsicht gleichen sich die festliche Eröffnung des Jahres 1957 und jetzt die spektakuläre Wiedereröffnung.
Wie damals knüpfen sich auch heute Riesenerwartungen an die Architektur. 1957 sollte das Bikinihaus die Wiedergeburt West-Berlins als moderne Metropole beglaubigen: gemeinsam mit dem als rasante Mischung aus Luxusdampfer und Jakobsmuschel gestalteten Großkino Zoopalast und einem sechzehngeschossigen, Le Corbusier abgeschauten und für Modebetriebe reservierten Hochhaus am Bahnhof Zoo.
Unter der Losung „Schaufenster des Westens" trumpfte das Trio mit seinen rasanten Kurven und Winkeln auf gegen den Zuckerbäckerstil der Stalinallee, deren muffiger Neohistorismus dem Rang Ost-Berlins als Hauptstadt der DDR Gestalt geben wollte. Auch heute kann man das frisch polierte Areal - im November 2013 nahm der aufwendig renovierte und restaurierte Zoopalast den Betrieb wieder auf - als Schaufenster bezeichnen. Nur ist es diesmal nicht Macht-, sondern Marktpolitik, die hier baut. Der Westen, sprich Kurfürstendamm und Umgebung, will endlich wieder Konsum-Terrain zurückerobern, das er nach dem Fall der Mauer an die Stadtmitte verloren hat.

Der Bau schwebt, und seine Besucher mit ihm
Im selben Maß nämlich, in dem zwischen Hackeschem und Gendarmenmarkt, Oranienburger und Friedrichstraße glanzvoll wiederhergestellte Gründerzeitpaläste und glamouröse Neubauten zu Publikumsmagneten wurden, stieg das „Zentrum am Zoo" ab. Kronzeuge war das Bikinihaus. In ihm, das schon 1978 entstellt worden war, als der Laubengang für die (1994 wieder aufgegebene) Kunsthalle zugebaut wurde, nisteten Tauben im Dachgeschoss, und hinter der Kolonnade hielten nur noch Ramschläden durch. Dieser Schäbigkeit angemessen, moderte einige Schritte weiter der Zoopalast vor sich hin und tarnt sich das ursprünglich dynamische Hochhaus seit 1986 unter einer teigig gelbstichigen Plattenverkleidung.
Jetzt leuchtet das Ensemble, ergänzt um den neuen steinverkleideten Vierkant des mit Gewächshaus und zooaffiner „Monkey-Bar" aufwartenden Nobelhotels „25hours", wie ein Hochglanzmagazin. Soll es auch. Denn untergebracht sind im sanierten Bikinihaus 58 Geschäfte auf drei Etagen, von 17 000 Quadratmeter Verkaufsfläche vereinigt zu Deutschlands, wie die Betreiber erklären, erster „Concept Mall". Ihr Motto: „kultureller Austausch" in einer „Lifestyle-Welt". Nymphenburger Porzellan wird hier angeboten, Glasschliff aus Theresienthal, es gibt die Fotogalerie C/O, dazu „Pop up Stores" junger Designer. Besonders stolz ist man auf das „vegane Modelabel", das demnächst hier Kleidung aus exklusiven Pflanzenfasern wie denen des Eukalyptusbaums verkaufen wird.

Die spielerische Leichtigkeit der Fünfziger-Jahre-Moderne des Bikinihauses eignet sich gut für diese Umnutzung. Das erkannten der belgische Künstler Arne Quinze, der die Umbauentwürfe zeichnete, und das Architekturbüro Hild und K., das sie umsetzte. Zwar blieb der Laubengang geschlossen und das langgestreckte Bauwerk damit ein Einteiler. Doch die fragilen Proportionen, die hauchfeinen metallenen Fenster- und Schaufensterrahmen, die fließenden Räume und gleitenden Treppen sind teils wieder herauspräpariert, teils stilgetreu erweitert - der Bau schwebt, und seine Besucher mit ihm.

Rückkehr zum Blockrand
Am beeindruckendsten zeigt sich das neu-alte „Zentrum am Zoo" von Osten, von der Budapester Straße her. Rechts stöckelt elegant das Bikinihaus, links, vor dem imposanten wilhelminischen Turmstumpf, staffeln sich festlich die symbolistischen Oktogone der neuen Gedächtniskirche von Egon Eiermann. Am Fluchtpunkt der Perspektive ragt, alle dort einmündenen Straßen mit vor- und rückspringenden Trakten auffangend, das 2012 samt dem Waldorf Astoria eröffnete Hochhaus „Zoofenster" von Christoph Mäckler.

Mehr als sechzig Jahre nach den Träumen westlicher Architekten vom neuen Berlin, das sie für den damaligen Hauptstadtwettbewerb als eine Art Brasília des Nordens zeichneten, und viele Jahrzehnte nach dem städtebaulichen Schindluder, das sich realiter breitgemacht hatte, sind nun die städtebaulichen Ideale der fünfziger Jahre doch noch Gestalt geworden. Und siehe da - ihr freies Schwingen behauptet sich glänzend gegen die strenge Blockrandbebauung, zu der man seit 1985 reumütig zurückgekehrt ist.

Damit könnte das nachträglich vollendete „Zentrum am Zoo" Vorbild werden für das derzeit noch hoffnungslos zerfledderte Kulturforum. So wie Bikinihaus, Gedächtniskirche, Zoopalast und Zoofenster sich nun gemeinsam mit dem neuen Zoofenster als Solitäre darbieten, die dennoch aufeinander Bezug nehmen und sich einer übergreifenden Ordnung von Straßen und Plätzen einordnen, könnte auch am Kulturforum mit ein oder zwei Neubauten, die Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, die Philharmonie und die Staatsbibliothek Hans Scharouns und Stülers klassizistisch-romantische St.-Matthäus-Kirche ergänzen, die Fünfziger-Jahre-Idee der fließenden - und nicht der zerfließenden - Stadt ähnlich überzeugende Gestalt gewinnen. Als Ergänzung wohlgemerkt zur sinnvollen Rückkehr zum Blockrand, und nicht als neuer Trend, der über den Haufen wirft, was man gerade erst errungen hat.

Wille zur Weite
Berlins Westen, das bezeugen auch die opulent restaurierten, mit Luxuswohnungen und Szene-Restaurants ausgestatteten Gründerzeitbauwerke am oberen Kurfürstendamm oder das grandiose staffelgerundete Hotel Concorde, das Jan Kleihues schon 2005 an der Ecke Augsburger und Joachimsthaler Straße errichtete, holt enorm auf. Dass damit so mancher liebenswerte Kiez verschwindet, der schon die reizvoll verschlampte Künstlerparadies-Ära der geteilten Stadt erlebt hat, ist zweifellos ein Verlust.
Doch der wahre Jammer dieses Wiederaufstiegs ist, dass er dringlichere städtebauliche Aufgaben in Berlin überblendet.

Endlich die leergefegte Stadtmitte wieder zu bebauen ist eine davon. Listet man die bisherigen Vorschläge zu deren Gestaltung auf, könnte einem das Lob für das frei schwingende „Zentrum am Zoo" im Halse stecken bleiben. Denn in Bezug auf die historische Mitte Berlins überwiegt der Wille zur Weite. Wie betäubt von der krampfhaften Suche nach exzentrischen, noch nie dagewesenen Lösungen möchte man die Verheerungen der Bombenteppiche und der Abrissbirnen mit gähnend ausgedehnten Plätzen und solitären Großbauten zementieren. Wer die angemessene vorherige Kleinteiligkeit zurückfordert, wird als Nostalgiker diffamiert - ganz so wie 1957, als das gelungene Bikinihaus zum Freischein für aberwitzige stadtzerstörerische Kahlschläge in der weiteren Umgebung missbraucht wurde.

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