Interview zum Berliner Stadtschloss

Der Schloss-Entwurf von Stephan Braunfels könnte Ost und West versöhnen. Würde der zur Spree zeigende Flügel nicht gebaut, könnte dieser Bau in Mitte ein Signal sein: Die Zukunft nimmt verschiedene Epochen in sich auf. Das erklärt der Architekturtheoretiker Andreas Ruby.

Berliner Zeitzung vom 10.11.2013

Andreas Ruby empfängt standesgemäß in einem Niedrigenergiehaus in der Nähe der Bernauer Straße in Mitte. Die eigene Anwesenheit erzeugt hier schon genug Wärme, um das Büro zu heizen. Ruby ist einer der vielen in die Zukunft denkenden Architekturtheoretiker, für die eine Schloss-Rekonstrukton lächerlich ist. Für die Idee des Architekten Braunfels, auf den Ostflügel des Berliner Stadtschlosses zu verzichten, kann er sich allerdings begeistern. Im Gespräch erklärt er, warum sie eine Versöhnung der verfeindeten Lager bedeuten könnte.

 

Herr Ruby, der Architekt Stefan Braunfels mischt sich quasi fünf nach zwölf in den schon begonnenen Bau der Berliner Schloss-Rekonstruktion ein und fordert vom ausführenden Architekten Stella, dessen Ostflügel in eigener, moderner Handschrift zu streichen. Ist das nicht ein ungehöriger Affront?

Formal gesehen ist das ein Affront. Aber man muss auch sagen: Das ganze Schloss-Projekt ist ein Affront.

Gegen wen?

Gegen den gesunden Menschenverstand. Viele Menschen hätten es vernünftiger gefunden, aus den vorhandenen Strukturen des Palastes der Republik etwas Sinnvolles, Zukunftsfähiges zu machen. Damit meine ich nichts Ostalgisches. Die Entscheidung, den Palast radikal abzureißen – Auge um Auge, Zahn um Zahn aus Rache für den Abbruch des Schlosses durch die SED-Regierung – war historisch nicht besonders klug und hat zu gesellschaftlichen Zerwürfnissen geführt, die bis heute anhalten. Das war reine Machtpolitik. Das Schloss-Projekt umweht von Anfang an ein Hauch des Willkürlichen und Obskuren.

Nun kommt Braunfels mit seinem Vorschlag, das Schloss nach Osten hin zu öffnen, und mit einem Mal scheint die Stadt wie wachgerüttelt zu sein. Die Mehrheit der Berliner will dieses offene Schloss.

Nun ja, unter Stadtplanern und Architekten will kaum jemand ein Schloss. Aber wenn schon ein Schloss, dann doch lieber die Braunfels-Variante, finde ich. Der Vorschlag, mit dem Ostflügel ganz auf die zeitgenössische Formsprache zu verzichten, bedient natürlich die Retro-Sehnsüchte vieler Menschen. Da spielt ein Populismus mit, zu dem ich ein zwiespältiges Verhältnis habe. Aber wenn ein Großteil der Gesellschaft nicht mehr das Gefühl hat, ihren Ausdruck in einer zukunftsgerichteten, zeitgenössischen Architektur zu finden, sondern die Verbindung zur Vergangenheit sucht, dann ist es konsequent, so vorzugehen wie Braunfels. Der zweite Grund für die Begeisterung, die Braunfels' Idee hervorruft, ist ein stadträumlicher. Das nach Osten hin offene U ermöglicht eine stadträumlich weit bessere Integration des Baus.

Eine solche Öffnung des Schlüterhofs würde eine radikale Veränderung bedeuten. Darf man das überhaupt? Diese Orientierung zur Stadt hin hätten die Hohenzollern doch niemals gewollt.

Das ist genau der Punkt, der das Projekt legitim macht. Man bedient damit einerseits den Wunsch nach Vergangenheit und anerkennt andererseits, dass wir nicht mehr im 18. Jahrhundert leben.

Der frühere Chef des Bundesbauamtes, Florian Mausbach, meint, dass ein Schloss mit seinen offenen Seitenflügeln die DDR-Architektur samt Fernsehturm umarmen würde.

Was wäre daran eigentlich so schlimm? Das wäre keine Unterwerfungs-, sondern eine Versöhnungsgeste. In den vergangen Jahren ist so viel polemisiert worden zwischen dem historischen und dem modernen Berlin, Ost- und Westberlin. Jetzt wäre der ideale Moment zu sagen: Lasst es gut sein, beide können gut neben- und miteinander existieren.

Könnte das Schloss von Braunfels eine Art historischer Abrüstung einleiten im kalten Krieg der jüngeren Architekturgeschichte?

Das wäre für mich zumindest sein wertvollster Nebeneffekt. Der Baubestand östlich des Schlosses aus der DDR steht ja seit der Wiedervereinigung unter extremem Legitimationsdruck. Das Schloss von Braunfels wäre eine Konzilianzgeste, aber nicht der DDR, sondern der Geschichte gegenüber. Eine architektonische Parallele zur Ostpolitik Willy Brandts. In diesem Verzicht auf eine Politik der reinen Stärke liegt die Großartigkeit des Vorschlags von Stephan Braunfels.

Seine Eingriffe sind aber doch erheblich. So müssten nach seinem Plan die Innenfassaden Ost und West einfach vertauscht werden. Das ist doch ein Verstoß gegen die kunsthistorische Authentizität.

Es fragt sich, ob ein Wiederaufbau jemals authentisch sein kann. Denn das Neue wird niemals genau das sein können, was das Alte einmal war. Warum sollte man also nicht die Gelegenheit nutzen, um beim Wiederaufbau innerhalb der Vergegenwärtigung des Alten auch Bezüge zur Gegenwart zu machen? Die Geschichte weiterdenken, statt sie zu wiederholen. Das Aachener Münster zum Beispiel ist über tausend Jahre weitergebaut worden. Es ist so gesehen ein einziger Verstoß gegen die kunsthistorische Authentizität.

Das Schloss war ursprünglich orientiert am Vorbild der italienischen Palazzi. Kann man über diese Grundidee eines bewusst geschlossenen Baus denn so einfach eine andere Tradition herüberziehen, nämlich die des französischen Schlosses à la Versailles mit Ehrenhof?

Man kann. August der Starke hat in seinem barocken Dresden eine ganze Stadt munter neu orientiert, nämlich zur Elbe. Und wenn sich das Umfeld eines Gebäudes so radikal verändert hat wie hier, durch Krieg und die sozialistische Wiederaufbauzeit, ist es völlig legitim, über eine Anpassung der Rekonstruktion nachzudenken. Wenn man das nicht will, müsste man ja die ganze Umgebung wieder zurückbauen. Interessant an Braunfels' Vorschlag ist sein Pragmatismus. Der weite Raum, der hier historisch entstanden ist, mit der schräg stehenden Marienkirche darin und den langen Wohnscheiben an den Rändern des Platzes ist doch ein hochinteressanter Ort. Braunfels hat dieses Umfeld im Blick gehabt und sich gefragt, wie das Schloss diese Strukturen verstärken kann.

Mir kommt der neorationalistische Riegel von Franco Stella, den er als Abschluss des Schlosses nach Osten bauen will, wie eine Bußübung vor.

Ja, diese Übung hat etwas von einem Exerzitium – und sie ist nebenbei gesagt auch eine Satire auf historische Architektur. Als moderner Architekt baut man nun mal keine Schlösser auf. Deshalb muss man an irgendeiner Stelle erkennen lassen, dass die Schloss-Rekonstruktion ein Gebäude aus heutiger Zeit ist. Das finde ich grundsätzlich richtig. Aber so, wie Stella das macht, wirkt es verkrampft. Er findet keine Haltung zu der Frage, wie man jenseits dieses simplen Gegensatzes von Alt und Neu markiert, dass dies ein zeitgenössischer Bau ist. Braunfels geht mit dieser Aufgabe sehr geschickt um, indem er das Schloss auf- und zugleich umbaut.

Also nach dem Motto: Wenn schon Simulation, dann richtig?

Ja, es ist ein Bekenntnis zur Simulation. Der Begriff stammt ja vom Philosophen Jean Baudrillard. Am Ende seines Lebens zog er aber eher den Begriff der Illusion vor. Und zwar im lateinischen Ursprung des Wortes – illudere, die Realität in den Zustand des Spiels zu versetzen. Das ist ganz im Sinne Schillers, der sagte, dass der Mensch erst da ganz Mensch ist, wo er spielt. Braunfels versetzt die überlieferte Realität des Schlosses in den Zustand des Spiels. Er hält sich nicht sklavisch an einen fragwürdigen Begriff der historischen Authentizität, sondern legt sie so aus, dass sie dem Fortlauf der Geschichte und unserer Gegenwart entspricht.


Das Gespräch führte Harald Jähner.


 

Diskutieren Sie mit!

Wir laden zur Podiumsdiskussion: Nach dem Vorschlag des Architekten Stephan Braunfels, auf den Bau des Ostflügels am neuen Berliner Schloss zu verzichten, lebt die Debatte über den wichtigsten Kulturbau der Hauptstadt wieder auf.

Teilnehmer: Stephan Braunfels (Architekt), Theresa Keilhacker (stellv. Präsidentin Architektenkammer), Manfred Rettig (Vorstand der Stiftung Berliner Schloss-Humboldtforum), Harald Jähner (Feuilletonchef Berliner Zeitung); Moderation: Nikolaus Bernau (Architekturkritiker Berliner Zeitung)

Ort und Termin: 18. November 2013, 19 Uhr, Veranstaltungssaal im Berliner Verlag, Karl-Liebknecht-Straße 29. Die Tickets kosten 3 Euro und sind nur an der Abendkasse im Verlag erhältlich (ab 17.30 Uhr).

Die Berliner Zeitung im Internet: www.berliner-zeitung.de