Die „Schwarzbauten" am Garbátyplatz, das Hotel Meininger am Hauptbahnhof oder das Shoppingcenter Alexa am Alexanderplatz - Bausünden gibt es viele in der Stadt. Doch woran liegt das eigentlich? Und wer ist Schuld an der Misere?

Tagesspiegel vom 28.05.2013 von Ralf Schönball

Über Geschmack lässt sich nicht streiten – doch wenn es ums Baugeschehen in Berlin geht, dann schreit sofort jeder „hier!", wenn eine Meinung gefragt ist. Einhellig ist diese bei fast allen Beobachtern, wenn es um Pankow geht: Empörung herrscht über die „Schwarzbauten" am Garbátyplatz. Die Erregung ging weit über den Bezirk hinaus, was im Rathaus sogar die Verwaltung alarmierte. Nach einer Vielzahl von Gesprächen zwischen Bezirk und Investor steht nun fest: Die schwarze Fassade wird aufgehellt – durch Aluminiumlamellen oder ein ganz anderes Fassadenmaterial.

Aber wer ist eigentlich Schuld an der Misere? Den Antrag für die Bebauung von Grundstücken stellen Investoren beim Bezirk. Dort sind die Bau- und Planungsabteilungen zuständig für die Einhaltung der Bauvorschriften. Allerdings hat der eiserne Sparkurs in Berlin auch in den Bezirken zu einer Personalnot geführt und dies wiederum zur Auslagerung wichtiger Aufgaben an Dienstleister. Bei der Sanierung der „Zuckerbäckerbauten" in der mittleren Karl-Marx-Allee war ein freiberuflicher Statiker sogar mit der Prüfung der Konstruktionstechnik und deren Stabilität beauftragt worden. Als die Keramikfliesen sich im vergangenen Jahr schon wieder von den erst vor kurzem erneuerten Fassaden lösten, hegten einige Experten den Verdacht, dass der Freiberufler entweder mit seiner Aufgabe überfordert war oder nicht genau hingeschaut hatte.

Immerhin ist dieses Denkmal sozialistischer Baukunst zu einer Ikone des deutschen Städtebaus geworden – und kaum jemand würde über die gestalterische Qualität dieser Häuserzeilen diskutieren. Aber auch im aktuellen Fall des Pankower Neubaus hat der Bezirk im Grunde kaum eine unmittelbare Handhabe. Es gibt keine „Gestaltungssatzung", wie Städte sie für den historischen Kern ausrufen und sogar gesetzlich festlegen können. In Berlin hatte zuletzt der streitbare Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) zu diesem Regulativ gegriffen und damit in den Jahren des Baubooms kurz nach der Wende die Gestaltungswut von Baumeistern und Investoren gebändigt.

Festgelegt war damit die Höhe von Neubauten durch die sogenannte Traufhöhe (28 Meter) sowie die Bauflucht durch den einheitlichen Blockrand an der Grundstücksgrenze. Für die Wiederherstellung des Pariser Platzes hatte Stimmann sogar das Baumaterial (Sandstein) sowie die Bauweise (Lochfassade) festgelegt. Den begrenzten Spielraum füllten die Architekten durch teils phänomenale Gestaltungen der Innenhöfe, wie Frank Gehry im Fall der DZ-Bank.Ähnlich wie heute brach dies allerdings auch in den neunziger Jahren eine heftige Architekturdebatte vom Zaun: Kritiker beklagten die Banalität der Berliner Bauten. Und von Stimmann wird berichtet, dass er in seinem Dienstzimmer mit dem Rotstift Architektenpläne korrigierte.

Eine Vorliebe für kräftiges Rot hat auch seine Nachfolgerin Regula Lüscher, zieht damit allerdings vor allem ihre Lippen nach. Doch auch sie ist um Baukunst bemüht und gründete dazu das „Baukollegium", ein Gremium von Architekten und Bauexperten, vor dem Investoren und ihre Baumeister ihre Pläne vorstellen sollen. Lüscher betont, dass sie dies freiwillig täten und die Stadt sie nicht dazu zwingen könne. Zumal der Senat meistens auch gar nicht zuständig ist – sondern eben der jeweilige Bezirk.

Das Alexa mag nicht mal Wowereit

Der Bezirk Mitte war es, der eine der wohl größten Berliner Bausünden genehmigte: Das Hotel Meininger am Hauptbahnhof. Aufs Korn nahm das graue Gestaltungsdesaster als einer der ersten Bahnhofarchitekt Meinhard von Gerkan. Der hatte selbst zuvor erfahren, was von kühnen Entwürfen übrig bleibt, wenn der Rotstift der Kostencontroller regiert: Das gekürzte Dach seines Bahnhofsneubaus lässt die Dynamik des schwungvollen Entwurfes nur erahnen. Die Kosten beim Meininger waren wiederum deshalb so knapp bemessen, weil sich das Gebäude als Hotel der Budget-Klasse rechnen muss.

Das sagt auch Lüscher, die noch nicht im Amt war, als das Meininger genehmigt wurde, und hält sich zugute, dass alle Folgebauten durch ihr Baukollegium gelenkt wurden und dadurch an Qualität gewannen. Die Tour Total nordöstlich des Hauptbahnhofs zum Beispiel, die von der Architekturkritik gelobt wird und auch für Laien durch das Spiel der in sich verdrehten vertikalen Streben als eleganter Wurf erkennbar sein sollte, deren Erscheinung zudem mit dem wechselnden Licht der Tageszeiten variiert.

Anlass zur Sorge bereitet eher das städtebauliche Konzept für die Europa-City, das die Entstehung zu großer uniformer Blöcke befürchten lässt. Hier zeichnet allerdings die Senatsbauverwaltung verantwortlich, ähnlich wie für viele andere Großformen des Berliner Städtebaus: der BND zum Beispiel, der noch unter Stimmann genehmigt wurde, der diese Entscheidung inzwischen infrage stellt. Alle Bundesbauten sowie die Gebäude von „gesamtstädtischer Bedeutung" sind Sache des Senats – oder können jedenfalls dazu werden.

Ob dadurch Neubauten besserer Qualität entstehen werden, ist nicht gewährleistet. Lüscher jedenfalls betonte wiederholt, dass die Einflussnahme der Stadt begrenzt sei – was die Fassaden von Häusern betrifft erst recht. Immerhin versucht sie es, zum Beispiel im Fall des Hotel- und Wohnkomplexes am Alexanderplatz, den Architekt Giorgio Gullotta mit einem „anthrazitfarbenen" Stein verkleiden will. Um einen Gau wie in Pankow zu verhindern, vereinbarten Lüscher und ihr Baukollegium eine Sichtung des Materials auf der Baustelle.

Am Alexanderplatz ist der Sündenfall zu besichtigen, der sogar die Geschmacksnerven des Regierenden Bürgermeister so stark strapazierte, dass er sich zu einer öffentlichen Schmähung des Alexa hinreißen ließ. Das seltsame Rosa tat dem Erfolg des Großkaufhauses keinen Abbruch, worauf querdenkende Baumeister schon mal hinweisen – und mit dem Erscheinen des Barbie-Hauses ist das Alexa fast schon zum Trendsetter geworden. Für manche ist das eine Boulevardisierung der Baukultur, die aber vor allem deshalb Raum greifen kann, weil in diesem Senat niemand das Tableau der Berliner Baukultur zu entwerfen vermag.

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