Experten begutachten die neuen Risse in der Friedrichwerderschen Kirche in Mitte
Berliner Morgenpost vom 15.11.2012 - von Andreas Gandzior

Die Ausstellung in der Friedrichswerderschen Kirche in Mitte wird in den kommenden Wochen ausgelagert. Aus Sicherheitsgründen müssen sämtliche Skulpturen aus der Kirche am Werderschen Markt 1 entfernt werden. In dem denkmalgeschützten Gebäude platzten im September Teile des Deckenputzes ab. Die Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereitet derzeit den Umzug der kostbaren Sammlungsobjekte an andere Orte vor. Bislang wurden an den ausgestellten Werken keine Schäden festgestellt. Die Stiftung mit ihren Staatlichen Museen ist Nutzerin der Kirche. Eigentümerin des Gebäudes ist die Evangelische Kirchengemeinde in der Friedrichstadt.

"Die Ausschreibungen für den Umzug der Ausstellungsstücke mit einer Kunstspedition sind auf den Weg gebracht", sagte der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Michael Eissenhauer. Die Skulpturen könnten in Depots untergebracht werden. Zeitgleich prüfe die Nationalgalerie aber, ob, wo und wie viele der Ausstellungsstücke in anderen Museen aufgestellt werden können. Etwa im Bodemuseum oder in der alten Nationalgalerie. Im Kirchenschiff konnten Besucher bislang eine Auswahl von Skulpturen des frühen 19. Jahrhunderts betrachten. Die Werke aus der Zeit von Karl Friedrich Schinkel stammen aus den Beständen der Nationalgalerie. Darunter auch das originale Gipsmodell zu Johann Gottfried Schadows berühmtestem Werk, der "Prinzessinnengruppe". Jetzt aber sind die Bildnisbüsten unter anderem von Wilhelm und Alexander Humboldt, Immanuel Kant, sowie Johann Wolfgang von Goethe in Holzkisten verpackt.

Im September waren kleine Putzfragmente aus dem Gewölbe gefallen und drohten, das Ausstellungsgut sowie Besucherinnen und Besucher der Kirche zu gefährden. "Über den Emporen haben wir sofort ein Netz eingezogen, um Verletzungen von Personen und Schäden an den Skulpturen zu verhindern", sagt Eissenhauer. "Einhausungen aus Holz schützen die frei aufgestellten Skulpturen. Jetzt bereiten wir die Räumung vor." Seit dem 10. September ist der nach Schinkels Plänen errichtete Backsteinbau für Besucher geschlossen. "Die Kirche ist nicht einsturzgefährdet und die Bausubstanz ist auch nicht bedroht", sagt Eissenhauer. "In der Kirche sind aber auch Bodenplatten durch Setzungen gerissen."

Doch nicht nur aus Sicherheitsgründen muss die Kirche geräumt werden. Um die Schäden an den Gewölbedecken begutachten zu können und schließlich auch zu restaurieren, wird der Platz benötigt. "Um genau feststellen zu können, wie großflächig der Putz beschädigt ist, müssen Gerüste und Hebebühnen in der Kirche aufgebaut werden", sagte Eissenhauer. "Anders werden wir nicht zu einem Ergebnis kommen."

Als im September die ersten Putzfragmente aus dem Gewölbe gefallen waren, lag der Verdacht nahe, dass durch den benachbarten Neubau so genannte Setzungsrissen an dem denkmalgeschützten Kirchenbau entstanden sind. In unmittelbarer Nähe an der Oberwallstraße entstehen die "Kronprinzengärten", bestehend aus drei Wohngebäuden mit 30 Wohnungen sowie ein Galerie- und Atelierhaus. Kostenpunkt: 85 Millionen Euro. "Es gibt nur Vermutungen und keine sicheren Erkenntnisse", sagte Tanja Lier, Chefin der Bauaufsicht in Mitte. Es sei aber auffällig, dass es im Zusammenhang mit den Bohrpfahlarbeiten zu den Rissen in der Kirche gekommen ist. Direkt hinter dem Bauzaun entlang der Kirche wird eine Baugrube für eine zweigeschossige Tiefgarage für die neuen Besitzer der Luxusappartements ausgehoben. In nur wenigen hundert Metern Entfernung wird auch die Baugrube für das Humboldt-Forum hergestellt. Auch die Tunnelarbeiten für die U5 vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor laufen auf Hochtouren.

Der Bau der Wohnungen direkt an der fast 200 Jahre alten Kirche ist umstritten. Der Berliner Architekten- und Ingenieurverein hatte mehrfach den geringen Abstand zwischen der Kirche und den neuen Häusern kritisiert. An einer Stelle beispielsweise rückt der Neubau bis auf fünf Meter Entfernung an Schinkels Kirchenbau heran.

Baustopp verhängt
Aufgrund der entstandenen Schäden hatte das Stadtplanungsamt in Mitte am 10. Oktober einen teilweisen Baustopp ausgesprochen. "Bis zu einem Abstand von 20 Metern darf derzeit parallel auf der gesamten Tiefe der Kirche nicht weiter gebaut werden", sagte Lier vom Stadtplanungsamt Mitte. "An einem Wochenende hatten wir auch einen kompletten Baustopp verhängt." Dieser gelte auch noch auf Teilen des Grundstückes, auf dem gebaut wird. Jetzt erstellen Statiker ein Baugutachten. "Noch sind Gründe und Ursachen für die Schäden an der Kirche nicht geklärt", sagt Henning Hausmann von der Investment Group. "Da gibt es viele Spekulationen." Hausmann spricht von einem "relativ normalen Vorfall, dass es an Nachbarliegenschaften zu Schäden kommen kann". Vor wenigen Tagen gab es ein Gespräch zwischen Vertretern des Bezirks, dem Bauherren und einem Rechtsanwalt der Kirchengemeinde. Konkrete Ergebnisse sind nicht bekannt. Mit den Ergebnissen eines Prüfingenieurs rechnen die Beteiligten aber jeden Tag. Erst dann könne man Maßnahmen ergreifen, die Kirche zu sichern.

 

 

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