Berliner Morgenpost

Mittwoch, 17. August 2011 - Von Isabell Jürgens

Ausgrabung am Molkenmarkt

 

Zweieinhalb Meter unter dem Asphalt liegt das Mittelalter

Der Parkplatz nördlich des Neuen Stadthauses zwischen Grunerstraße und Parochialstraße in Mitte ist wohl nur den Verwaltungsangestellten ein Begriff, die hier bis vor vier Wochen ungestört parken konnten. Doch das unscheinbare, zugepflasterte Stück Berlin, da ist sich Landeskonservator Jörg Haspel sicher, "birgt im Erdreich eines der wichtigsten Elemente der mittelalterlichen Geschichte Berlins".

Denn hier befand sich der Große Jüdenhof, das Zentrum des jüdischen Lebens im Mittelalter. Mitte Juli begannen die Grabungsarbeiten auf dem ehemaligen Parkplatz. Am Dienstag zeigte Haspel erste Funde: Glasscherben, nahezu unbeschädigte Schmelztiegel und Knochensplitter. Doch wichtiger als diese Kleinfunde sind die freigelegten Mauerreste, die von der Anlage des Jüdenhofes zeugen.

"Es handelt sich um die ersten archäologischen Untersuchungen in diesem Altstadtgebiet überhaupt", betont Haspel. Das Areal unmittelbar neben dem Molkenmarkt gehörte einst zum wirtschaftlichen Herz der Stadt. Im angrenzenden Jüdenhof, der nach historischen Quellen von zwölf Häusern umgeben und nur durch eine schmale Gasse zu erreichen war, hatten sich Juden niedergelassen, die im Mittelalter kein Handwerk und Gewerbe ausüben durften. Ihnen blieben nur der Geldverleih und der Handel. Doch wie so vieles in Berlin versank die Anlage, die den Juden bis zu den Pogromen im 16. Jahrhundert einen abgeschirmten Bereich für ihr Gemeindeleben bot, nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg und der Neuausrichtung des Molkenmarktes zum vielspurigen Autoknoten endgültig in Schutt und Asche.

Hoffnung auf spektakuläre Funde

Für die Archäologen ist das kein Grund, nicht auf spektakuläre Funde zu hoffen. "Der geschichtliche Reichtum liegt im Erdreich - man muss nur tief genug graben", sagt Haspel. So konnten bei Ausgrabungen vor dem Roten Rathaus in Mitte bereits die gut erhalten Fundamente des mittelalterlichen Rathauses ausgegraben werden. Am Schlossplatz wurden die Fundamente des Schlosskellers und des Eosanderportals freigelegt und auf dem Petriplatz die alte Lateinschule, eine der frühesten Bildungseinrichtungen der Stadt.

"Wir vermuten an dieser unscheinbaren Stelle den Standort der alten Synagoge und ein rituelles Bad", so Haspel. Um zu klären, inwieweit sich die Reste dieser Anlage erhalten haben, werden derzeit die Keller einiger Grundstücke freigelegt und das Mauerwerk untersucht. Zwei Keller wurden bereits bis auf eine Tiefe von anderthalb Metern unter dem Straßenniveau freigelegt; ein weiterer bis auf eine Tiefe von rund zweieinhalb Metern. "Die sauber aus Ziegelstein ausgebildeten Wände und der akkurate Ziegelsteinboden in den ersten zwei Kellern stammen aus dem 18. Jahrhundert", erläutert Torsten Dressler, dessen Archäologiebüro ABD-Dressler mit den Grabungsarbeiten beauftragt ist. "Der helle, gestampfte Lehmboden in dem dritten Keller ist deutlich älter, der stammt unzweifelhaft aus dem 13. Jahrhundert", so der Grabungsleiter. Ein Schnitt im Hofbereich soll Aufschluss darüber geben, ob es sich tatsächlich um die mittelalterliche Oberfläche handelt und ob es auf dem Hof einen Brunnen gab. Von der Synagoge und dem rituellen Bad haben die Archäologen noch keine Spur entdecken können. Von besonderem Interesse sind zwei unmittelbar angrenzende Grundstücke, die noch unter dem Asphalt liegen. "Wir sind uns ziemlich sicher, dass wir hier fündig werden, weil wir solche Hofanlagen aus anderen Städten kennen, dort hat es stets eine Synagoge und ein Bad gegeben", so Dressler.

Zum Tag des offenen Denkmals am 11. September lädt Dressler zu einer Führung über die Grabungsstelle ein. "Ich bin mir sicher, dass wir bis dahin weitere wichtige Elemente freigelegt haben." Zwei Monate haben die Archäologen noch Zeit bis zur Winterpause. Im kommenden Jahr kann die Erforschung der Vergangenheit dann weitergehen. "Wir rechnen mit weiteren drei bis fünf Monaten, um die gesamte Anlage freizulegen", so Haspel.