Am Wochenende lud die Stiftung Mitte Berlin zum Mitte-Fest in die Parochialkirche – mit Ausstellungen, Vorträgen und Debatten über die Zukunft der Mitte Berlins.
Berliner-Zeitung.de vom 14.09.2025 von Yoko Rödel

Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung im Jahr 1990 hieß es in Berlin: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Das neu gestaltete Stadtzentrum Berlin-Mitte sollte zum Symbol der wiedervereinigten Hauptstadt werden. Der Reichstag wurde saniert, entlang des Spreebogens entstand ein neues Regierungsviertel, der Pariser Platz erstrahlte in neuem Glanz, und am Potsdamer Platz setzten Bürotürme und das Sony-Center ein Zeichen für ein modernes, zukunftsweisendes Berlin.

Wer heute durch die Berliner Mitte spaziert, dem wird schnell klar: Von dieser verheißungsvollen Vision ist wenig geblieben – statt Aufbruch herrscht hier nur Durchzug. Vielerorts prägen raumgreifende Architekturen, endlose Einkaufspassagen und weitläufige Plätze mit Wasserspielen oder abstrakten Denkmälern das Stadtbild. Jene Orte sollten Symbole einer neuen Urbanität und Großstadtidentität sein, doch die Realität ist eine andere: Berlin-Mitte ist zu einer Kulisse ohne Publikum geworden – und zu einem Mahnmal fehlgeleiteter Stadtentwicklung.

Eine 90-Jährige kämpft um Berlins Mitte

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Berliner Mitte wieder lebenswerter zu machen, gründete die damals 90-jährige Marie-Luise Schwarz-Schilling im Juli 2022 die Stiftung Mitte Berlin – gemeinsam mit dem Stadtforscher und Historiker Benedikt Goebel sowie Christin Colli. Seither setzt sich die Stiftung dafür ein, die Mitte durch Revitalisierungsprojekte und den Erhalt historisch bedeutender Gebäude und Plätze attraktiver zu machen.

Einmal im Jahr lädt die Stiftung zudem zum Mitte-Fest in die Parochialkirche ein – mit Ausstellungen, Stadt- und Architekturführungen, Konzerten, Vorträgen und Diskussionen mit renommierten Experten über die Zukunft der Berliner Mitte.

Vom 12. bis 13. September fand das Mitte-Fest zum dritten Mal in Folge in der Parochialkirche statt – erstmals jedoch ohne die Gründerin, die wenige Wochen nach den Feierlichkeiten im Vorjahr gestorben war. „Dieses Fest ist Marie-Luise Schwarz-Schilling gewidmet. Denn es ist das erste Mitte-Fest ohne sie. Sie war eine in jeder Hinsicht inspirierende Persönlichkeit – mit viel Herz und einem unerschütterlichen Glauben an die Zukunft dieser Stadt. Wir wollen ihr Erbe in Ehren halten und in ihrem Sinne fortführen“, begrüßte Benedikt Goebel die Besucher. „Ich freue mich sehr, dass Herr Schwarz-Schilling heute zu uns gekommen ist – ebenso wie seine Tochter Alexandra, die im vergangenen Jahr den Stiftungsvorsitz übernommen hat.“

„Meine Mutter war ein echtes Berliner Kind“

Dann tritt Alexandra Schwarz-Schilling ans Podium. Einen Moment lang lässt sie den Blick durch den Kirchensaal schweifen, bevor sie zu erzählen beginnt – von ihrer Mutter und deren Vision einer lebendigen Berliner Mitte: „Vor gut einem Jahr waren wir noch alle hier versammelt. Es ist für uns noch immer unbegreiflich, dass meine Mutter nicht mehr unter uns ist. Sie fehlt uns einfach sehr.“ Während sie spricht, richtet sie den Blick zu ihrem Vater, der in der ersten Reihe sitzt und den Worten seiner Tochter aufmerksam lauscht.

„Ich begrüße Sie herzlich zum diesjährigen Mitte-Fest. Damit möchten wir die Diskussionen, die meine Mutter rund um die historische Mitte Berlins angestoßen hat, in eine breite Öffentlichkeit tragen. Wir wollen dazu beitragen, dass es Räume und Foren gibt, in denen Fachleute, Politiker und Bürger miteinander darüber sprechen können, wie wir die Berliner Mitte wieder lebenswerter machen“, eröffnet Alexandra Schwarz-Schilling den Festakt.

„Allein die sechs Ausstellungen, die hier in der Kirche aufgebaut sind, bieten ganz unterschiedliche Zugänge zu diesem Thema und sollen uns als Inspiration dienen, weiter ins Gespräch zu kommen“, sagt sie und deutet auf die Gemälde und Plakate, die in den Kirchenschiffen Motive des historischen Berlins in groß und klein zeigen.

„Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, wie alles begann“, fährt sie fort. „Meine Mutter war ein echtes Berliner Kind – sie liebte diese Stadt über alles. Vor vier Jahren besuchte sie Frankfurt und war tief beeindruckt von der neu errichteten Altstadt Frankfurts. Für sie stand sofort fest: Berlin braucht das auch. So kam es, dass sie mit 90 Jahren die Stiftung Mitte Berlin gründete – in einem Alter, in dem andere Menschen auf ihr Leben zurückblicken, setzte sie ein Zeichen für die Zukunft. In diesem Sinne wollen wir auch heute nach vorne blicken – und sind gespannt auf den heutigen Abend und den morgigen Tag.“ Das Publikum applaudiert, der Beifall hallt lange durch die Gewölbe der Kirche.

Denkmalpflege – zwischen Rekonstruktion und Abriss

Als Nächste betritt Martina Abri das Podium, Denkmalpflegerin und Expertin für den berühmten Architekten Karl Friedrich Schinkel. Die gebürtige Ost-Berlinerin hat in der Vergangenheit zahlreiche denkmalgerechte Sanierungs- und Restaurierungsprojekte in der Hauptstadt betreut.

Mit wachen Augen schaut die lebendige Frau in die Runde: „Meine Güte, jetzt stehe ich hier vor Ihnen und weiß gar nicht, wie ich anfangen soll“, beginnt sie. „Man rief mich an und sagte: ‚Erzählen Sie doch mal ein bisschen, was Sie so in Berlin-Mitte gemacht haben.‘ – Tja, wo fängt man da an und wo hört man auf?“ Über den Rand ihrer Brille hinweg blickt sie ins Publikum.

„Wir machen das so: Ich zeige Ihnen einfach ein paar Sachen und nehme Sie ein wenig mit in den Alltag einer Denkmalpflegerin. Und wenn Sie etwas nicht verstehen, dann melden Sie sich einfach.“ Abri wirft die erste PowerPoint-Folie an die Wand – eine Schwarz-Weiß-Aufnahme Berlins aus den Nachkriegsjahren erscheint. „So wie auf diesem Bild sah es in fast ganz Berlin nach dem Krieg aus. Manche Bauwerke waren so stark beschädigt, dass ein Abriss unumgänglich war. Andere wurden kernsaniert und entweder vollständig rekonstruiert oder einer neuen Nutzung zugeführt.“

Die Entscheidung, ob ein Gebäude abgerissen, teilweise erhalten oder gar originalgetreu rekonstruiert werden muss, sei stets individuell gefallen, erklärt Abri. „Während Warschau seine Altstadt originalgetreu wiederaufbauen ließ, beseitigte Rotterdam die noch verbliebenen historischen Bauten vollständig – und riss dabei oft auch noch intakte Gebäude ab. Ich frage Sie: Wer hat es denn nun richtig gemacht – Warschau oder Rotterdam?“ Erwartungsvoll schaut sie in die Runde. „Kein Wunder, dass Sie schweigen. Denn darauf gibt es keine Antwort.“

„Ich habe die Kirche ‚schinkeliger‘ gemacht, als sie es jemals war“

Dann gibt Abri einen Überblick über verschiedene Restaurierungsprojekte, die sie als Denkmalexpertin in Berlin-Mitte begleitet hat: von der Friedrichswerderschen Kirche über die Rekonstruktion der Ecke der Bauakademie, die Vorhallen des Alten Museums, die Alte Nationalgalerie und die Marienkirche bis hin zur Sophienkirche, dem Märkischen Museum und dem Schauspielhaus – das Repertoire ist beeindruckend.

Besonders gerne erinnert sie sich an die Restaurierung der Friedrichswerderschen Kirche. „Ich war Anfang zwanzig und kam frisch aus dem Studium. Ich war Feuer und Flamme“, erzählt Abri. „Ich bekam den Auftrag, drei Entwürfe für den Altar auszuarbeiten: einen mit dem Gemälde ‚Glaube, Liebe, Hoffnung‘, einen ohne das Gemälde – und eine moderne Variante aus Stahl und Glas.“ Schinkel, seinerzeit verantwortlicher Planer des Kirchenbaus, habe das Altarbild nie gewollt, fügt sie hinzu – es sei eine Auflage des Königs gewesen. „‚Glaube, Liebe, Hoffnung‘ war damals im Krieg verbrannt“, sagt sie, hält kurz inne und schmunzelt: „Also das Bild, meine ich.“ Lautes Gelächter erfüllt die Parochialkirche.

Am Ende habe man sich entschieden, die Kirche ohne eine Nachbildung des Altarbildes zu rekonstruieren. „Ich hätte es als junge Architektin natürlich toll gefunden, wenn man meinen Stahl-Glas-Entwurf umgesetzt hätte. Heute denke ich jedoch, dass dies die beste Lösung war. Ich habe die Kirche ‚schinkeliger‘ gemacht, als sie es jemals war.“

Neue Mitte Berlin – kommt jetzt die Altstadt zurück?

In der Denkmalpflege, betont Abri, gebe es nie die eine richtige Lösung – sondern immer verschiedene Wege, ein Gebäude für die Nachwelt zu bewahren. Darüber zu entscheiden, sei nie einfach und hänge nicht vom persönlichen Geschmack, sondern von bauhistorischen Befunden, der Qualität der Bausubstanz, rechtlichen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt vom Zeitgeist ab.

„Wissen Sie, ich bin überhaupt kein Fan von Rekonstruktionen. Denkmalpflege bedeutet keineswegs, um jeden Preis den alten Bauzustand wiederherzustellen. Vielmehr geht es darum, die Geschichte eines Gebäudes zu bewahren und gegebenenfalls zu transformieren. Das kann am Ende auch bedeuten, dass Ergebnisse entstehen, die man ästhetisch vielleicht nicht sonderlich gut findet.“

Dieses Prinzip, so Abri, müsse auch für die Berliner Mitte gelten. Eine lebenswerte Stadt entstehe nicht nur durch detailgetreuen Wiederaufbau historischer Quartiere. Erst wenn Plätze, Straßen und Gebäude zu Orten der Identifikation würden, entstehe eine echte Berliner Mitte: „Sonst haben wir am Ende nur eine Kulisse ohne Leben“, warnt Abri.

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