In Karlshorst entsteht die Siedlung „Gartenstadt“. Doch für den verwahrlosten Lost Place nebenan gibt es kein Konzept. Das ärgert Anwohner.
Morgenpost vom 14.07.2025 von Leonard Laurig

Die architektonischen Zeugnisse der Luftfahrtgeschichte sind schon deutlich verfallen. Fenster und Tore fehlen. Pflanzen wuchern an den Gemäuern hoch. Die Wände sind teilweise mit Graffiti besprüht. Dennoch sind sie ein wichtiges Relikt der Vergangenheit. Die alten Hallen in Karlshorst zeugen nämlich davon, dass hier mal Flugzeuge gestartet und gelandet sind. Im Ersten Weltkrieg wurde die „Fliegerstation Berlin-Friedrichsfelde“, wie sie damals hieß, gebaut. Seit Jahrzehnten stehen die Hallen nun leer. Und weil sie dem Denkmalschutz unterliegt, dürfen sie nicht abgerissen werden.

Doch um die alten Flugzeughallen herum entsteht gerade viel Neues. Und zwar Wohnungsbau. Etwa 930 Wohneinheiten könnten laut Bebauungsplan hier entstehen. Mindestens 189 davon sollen mietpreisgebundene Sozialwohnungen sein, wie das Bezirksamt auf Anfrage mitteilte. Die ersten sind bereits im Bau. Die Howoge hat sie vom Wohnprojektentwickler Bonava erworben . Insgesamt könnten demnach 1990 neue Einwohner in dem Gebiet hinzukommen. Die Baufläche befindet sich unterhalb des Museums Karlshorst und erstreckt sich entlang der Köpenicker Allee.

Das Problem dabei: Für die verfallenen Flugzeughallen gibt es aktuell noch kein Nutzungskonzept, wie das Bezirksamt der Berliner Morgenpost bestätigte. Momentan stehen sie einfach nur leer. Die Baufirma nutzt sie teilweise als Unterstellmöglichkeit für ihre Geräte. Laut Bebauungsplan kommen hier Nutzungen aus dem Bereich „Urbanes Gewerbe, Kultur und Soziales“ infrage. Doch ob eine aufwendige Renovierung der Hallen überhaupt zustande kommt, ist fraglich. Falls nicht, würden die Ruinen zwischen den Wohnungsneubauten weiter verfallen.

Der historischen Bedeutung des Ortes werde das kaum gerecht, kritisiert der Verein Karlshorst e.V. „Dass es bis heute keinerlei Nutzungskonzepte für die Flugzeughallen gibt, ist ein städtebauliches Armutszeugnis“, sagt Albrecht Gramberg, der sich in dem Verein engagiert. „Es ist zu befürchten, dass die Hallen in den nächsten Jahren zwischen den Neubauten verrotten, bis sie nicht mehr zu halten sind und abgerissen werden müssen.“ Ein vernachlässigter Lost Place also, der von Neubauten eingekesselt wird.

Aus erinnerungspolitischer Sicht sei ein möglicher Abriss der alten Fliegerhallen ein Verlust, kritisiert Gramberg. Denn: „Vermutlich nirgendwo stehen die Relikte zweier Weltkriege so dicht beieinander, wie hier“, erklärt er mit Verweis auf das Museum Karlshorst , das den Beinamen „Ort der Kapitulation“ trägt. In dem damaligen Offizierskasino unterschrieben die Nazis 1945 die bedingungslose Kapitulation im Zweiten Weltkrieg . Die ehemaligen Flugzeughallen, ein Relikt des Ersten Weltkrieges, stehen nur ein paar Hundert Meter entfernt.

„Das hätte man nutzen können“, sagt Gramberg. Er hätte sich „ein Band der Geschichte“ gewünscht. Ein Museum, über die beiden Standorte hinweg, auch mit Ausstellungen in den Flugzeughallen. „Leider war das politisch nicht gewollt“, kritisiert er. Doch nicht nur die ungenutzten Ruinen der Fliegerhallen bereiten dem Karlshorster Verein Sorgen.

Denn es zeichnet sich ein zweites Problem ab: die fehlende Nahversorgung. Einkaufsmöglichkeiten gibt es in der Gegend ohnehin schon wenige. Mit 1990 neuen Bewohnerinnen und Bewohnern würde sich die Lage weiter verschärfen. Im Bebauungsplan ist daher ein Versorgungszentrum vorgesehen. Doch ob und wann das realisiert wird, ist ungewiss. Denn bevor dieses gebaut werden kann, müsste erst ein Mietvertrag mit einem Einzelhändler vorliegen. Das ist bisher offenbar nicht der Fall. Das Bezirksamt teilt mit, bisher keine konkreten Informationen dazu zu haben.

Das Versorgungszentrum werde aber „aller Voraussicht auch kommen“. Dafür sei das Erdgeschoss des geplanten viergeschossigen Gebäudes auf dem Grundstück unterhalb des Museums vorgesehen. „Wann es spätestens kommen wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen“, heißt es vom Bezirksamt.

Götz Frommer, ebenfalls vom Verein Karlshorst e.V., kritisiert die Vorgehensweise beim Neubauprojekt. „Hier wiederholen sich gerade die Fehler, die wir in der Parkstadt erlebt haben“, sagt Frommer: „Wohnungsbau ohne Infrastruktur“. Die Parkstadt Karlshorst ist eines der größten Bauvorhaben der vergangenen Jahre. 1000 neue Wohnungen wurden im südlichen Teil Lichtenbergs im letzten Jahr fertiggestellt – eine ganze Siedlung. Doch das geplante Versorgungszentrum für die Parkstadt Karlshorst lässt noch immer auf sich warten.

„Ein Nahversorger wird den Mietern von Anfang an versprochen. Doch ob und vor allem wann der kommt, ist dann lange ungewiss“, kritisiert Frommer. Das Problem dabei ist häufig, wie auch in der Parkstadt, dass es für den Bau eines Zentrums mit keine vertraglich festgelegte Herstellungsfristen gibt. Gerade für Gebiete, wo viel Wohnungsneubau entsteht, kann das zum Problem werden.

Frommer sieht bei der Entwicklung des Projektes einen weiteren Kritikpunkt. Laut Bebauungsplan soll unterhalb des Museums Karlshorst ein Quartiersplatz entstehen, eine Art Eingang zur neuen Siedlung. Doch dieses Grundstück ist in Besitz der Russischen Föderation. Ohne deren Mitwirken ist der Platz also nicht realisierbar. Und eine Kooperation Russlands ist mehr als unwahrscheinlich. „Hier werden städtebauliche Probleme also einfach ignoriert“, kritisiert Frommer.

Der Bezirk teilt auf Anfrage mit, dass das Problem bekannt sei. In der Vergangenheit habe man gehofft, dass Russland sich in das Projekt einbinden lasse, sobald die Bauarbeiten rund um das Grundstück begonnen haben. „Aufgrund der aktuellen politischen Situation haben diese Hoffnungen erst einmal einen Dämpfer erhalten“, heißt es vom Bezirk.

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