Was nicht heißt, dass sie im Frühling schöner werden. Doch ein paar Plätze gibt es in Berlin, die in der grauen Jahreszeit noch einmal besonders scheußlich sind.
Berliner Zeitung Online News vom 04.01.2023 von Yuki Schubert

„Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau“, heißt es in einem allseits bekannten Song über unsere Stadt.

Und nie möchte man Peter Fox so sehr rechtgeben wie im Januar, dem fiesesten aller Wintermonate, der weder Weihnachtslichter noch Februarkürze bereit hält, um die Stimmung ein wenig zu heben.

An einigen Ecken in Berlin ist die graue Zeit besonders schwer auszuhalten, weil sie in ihrer Eintönigkeit das Dunkel ins uns nur noch verstärken. Also bleiben Sie lieber weg, es sei denn, Sie haben das Gemüt eines immerfrohen Karnevalsclowns.

Sozialer Endpunkt – der Mehringplatz in Kreuzberg

Er liegt am Anfang der Friedrichstraße , sozial jedoch an ihrem Ende: Der Mehringplatz in Kreuzberg , der seit vielen Jahren als sozialer Brennpunkt gilt und seit geraumer Zeit umgestaltet wird. So heißt es jedenfalls. Zwar ist die Endlosbaustelle im Rondell mit dem neuen Eingang zum U-Bahnhof fertiggestellt, schöner ist das Gebiet, benannt nach dem Publizisten und Historiker Franz Mehring, jedoch nicht.

Wo sich im vergangenen Sommer noch Jugendgangs mit Migrationshintergrund prügelten, herrscht im Winter eine suizidale Einöde aus grauem Beton, Schneematsch und Hoffnungslosigkeit. Der Mehringplatz scheint der Berliner Politik egal zu sein, als ob man nur darauf hoffte, dass sich das Problem eines sozialen Brennpunks inmitten der Stadt mal einfach so von selbst lösen würde.

Nur ein paar hundert Meter weiter versuchte man, die Friedrichstraße aufzumöbeln, indem man sie verkehrsberuhigte . Doch dies galt nur für die Stadtmitte, kurz nach dem Checkpoint Charlie ist schon alle Mühe vergebens, Berlin etwas Weltstädtisches abzuringen, dann kommt noch das Gebäude der taz und dann kann man auch schon alle Hoffnung fahren lassen. Wer sich hierher verirrt, der will nur weg.

Der einzige richtige Supermarkt hat mittlerweile geschlossen und auch das Protestplakat dagegen („Wo sollen wir jetzt einkaufen?“) hängt nur noch windschief an der Fassade der stillgelegten Kaiser’s-Filiale. Als verwahrlost wird das Gebiet von vielen Menschen wahrgenommen, was schade ist, war der Platz doch mal ein wahres Schmuckstück innenstädtischer Architektur. Man mag es kaum glauben, ist der Mehringplatz doch seit vielen Jahren ein Gruselgebiet, das auch irgendwie symptomatisch ist dafür, wie Berlin mit ärmeren, alten und Menschen mit Migrationshintergrund umgeht.
Marcus Weingärtner

Frostbeulenpest – das Berliner Olympiastadion

Boris Becker ist schuld. Denn er hat damit angefangen. Und dann haben es alle anderen Sportler nachgemacht. Wer erinnert sich nicht: Es muss Ende der Achtziger gewesen sein, Bum-Bum-Boris, der noch kein Bums-Besenkammer-Becker war, hatte mal wieder Wimbledon gewonnen, und weil er sich auf dem Rasenteppich zum Hinlegen und Herumhechten wohl fühlte, nannte er den Center Court „mein Wohnzimmer“. Nie war ein deutscher Besatzungsplan so erfolgreich in England.

Die Tradition der Wohnzimmerwerdung von Sportstätten ist seitdem zudem im Fußball beliebt, auch in Berlin . Im vergangenen April etwa, als Pal Dardai mal wieder eine Rettungstrainermission startete, brüllte der Stadionsprecher von Hertha BSC : „Zurück in seinem Wohnzimmer begrüßen wir Paaaal …“ Und die Zuschauer brüllten deutlich über Wohnzimmerlautstärke zurück: „Dardaiii!“

Wer das Berliner Olympiastadion aus eigener Leiderfahrung kennt, der weiß, dass es wehtut. Vor allem im Winter, wenn die fiesesten Schneeregenwinde der Stadt ungebremst durch das Marathontor spucken und selbst die Anfeuerungsversuche der glühendsten Anhänger aus dem Stadion peitschen.

Müsste man das Epizentrum der Berliner Januartristesse lokalisieren, wäre Olympischer Platz 3 die passende Adresse. Denn genau dort steht sie, die graue Betonschüssel, in der eine graue Zweitligafußballmaus vor Bedeutungsverlust zittert und die Frostbeulenpest verbreitet. Erhöhte Ansteckungsgefahr besteht wieder am 21. Januar, da ist Fortuna Düsseldorf zu Gast im Berliner Winterolympiastadion. Bleiben Sie lieber daheim in Ihrem Wohnzimmer und gucken den besenkammerfreien (?) Biopic „Boom! Boom! The World vs. Boris Becker“.

Paul Linke

Steinwüste mit angrenzender Baustelle – der Schlossplatz

Wenn im endlos langen Januar das Grau so richtig aufs Gemüt schlägt, wünscht man sich manchmal einfach ein Stückchen Grün, ein winziges Pflänzchen Hoffnung. Doch rund um das Berliner Schloss sucht man danach vergeblich. Nicht, dass es dort in anderen Monaten viel besser wäre, aber das fehlende Sonnenlicht lässt die strenge, einförmige Ostfassade zur Spree hin noch freudloser und eintöniger wirken als ohnehin schon.

Bewegt man sich von der Rathausbrücke auf das Schloss zu, möchte man sich am liebsten sofort in den winterkalten Fluss werfen. Wartet doch auf der anderen Seite eine einzige Steinwüste, ein gepflasterter Alptraum, den man im 21. Jahrhundert so nicht für möglich halten würde. Kein Grashalm, nirgends. Dazu eine endlos lange Sitzgelegenheit aus Stein, die so eisig ist, dass man sofort Hämorrhoiden bekäme, würde man sie nutzen.

Schnell um die Ecke biegen, wo es leider auch nicht besser aussieht, denn dort wartet die Baustelle des Freiheits- und Einheitsdenkmals, auch Einheitswippe genannt. Nur ein paar unerschütterliche amerikanische Touristen posieren hier für Fotos, ein italienischer Fremdenführer versucht seiner Reisegruppe mit balancierenden Bewegungen das Wippenkonzept zu erklären und blickt in traurige bis ratlose Gesichter.

Viel mehr Euphorie kommt auch an der Schlossseite zum Lustgarten hin nicht auf. Dort gibt es zwar ein paar Beete, die sogenannten Humboldt-Terrassen. Eine Tafel erklärt, dass hier ausgewählte Pflanzen wachsen, die aus unterschiedlichen Vegetationszonen in Eurasien, Südamerika und Nordamerika stammen und an die Reisen Alexander von Humboldts erinnern sollen. Nur leider mögen weder die Schirm-Magnolie noch die Gold-Birke den Berliner Winter und haben wie zum Trotz ihre Blätter abgeworfen. Überdies wird dieser Bereich bei unserem letzten Besuch vom Wintermarkt am Schlossplatz überdeckt, von Popgedudel, Winzerglühwein, Knoblauchbrot und einer grässlichen Pyramide auf roter Auslegeware. Willkommen in Berlin ! Anne Vorbringer

Graues Wimmelbild – Warschauer Brücke
Vor zehn Jahren dachte man ja noch, schlimmer könnte es an der Warschauer Brücke kaum kommen. Damals, als die Bahnfahrenden noch über ein M.-C.-Escher-artiges Treppengewirr von den Gleisen hoch auf die Straßen geführt wurden und oben lediglich zwei einsame Kiosk-Häuschen auf sie warteten, kaum etwas als Berliner Brache überall umher. Heute aber sehnt man sich fast zurück nach dieser schönen Zeit, dem freien Blick in die graue Betonlandschaft, den urigen Büdchen mit den grimmigen Verkäufern darin.

Statt alldem steht heute – ganz wie an Ost- oder Südkreuz – ein gesichtsloser Klotz aus Stahl und Beton an dieser Stelle; die vor wenigen Jahren eröffnete S-Bahn-Station ist ein architektonisches Unding. Wie so ziemlich alles, was dort zuletzt entstanden war – von Mercedes-Benz-Arena bis East Side Mall. Besonders unattraktiv wirkt das natürlich jetzt, im ätzenden Januar, in dem hartes, kaltes Licht auf die aalglatten Fassaden fällt. Und dann zeigt sich auch noch das Publikum als grauwollenes Wimmelbild!

An kaum einem stark frequentierten Knotenpunkt Berlins wird einem so schmerzlich bewusst, dass der gemeine Deutsche bei der Kleiderwahl nur drei Farben kennt: Dunkelblau, Olivgrün, Steingrau. Zu den Stoßzeiten schiebt sich die frustrierend frustrierte Menge die S-Bahn-Treppen hoch, vorbei an den ungelenken Bauten in Richtung Kreuzberg oder Friedrichshain. Immerhin: Im kalten Winter sind weniger Straßenmusikanten unterwegs, die das Trauerspiel im Sommer schief und scheußlich untermalen.
Manuel Almeida Vergara

Kalter Glaskasten ohne Seele - Der Berliner Hauptbahnhof

Zugegeben, modern sieht der Berliner Hauptbahnhof in Moabit aus. Obwohl bereits 2006 eröffnet, macht die 321 Meter lange gläserne Halle, die von dem Hamburger Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner entworfen wurde, immer noch ganz schön was her. Aber was bringt ein imposanter Look, wenn es schon beim Umsteigen hakt?

Der größte Turmbahnhof Europas hat fünf Ebenen, zwei für den Bahnverkehr und drei Einkaufs- beziehungsweise Verbindungsebenen. Zwischen den sechs oberen und acht unteren Gleisen liegen durch diese Aufteilung 25 Meter Höhenunterschied. Wer also mit der S-Bahn oben ankommt und zum Beispiel mit dem Fernzug nach Hamburg möchte, hat hoffentlich einen Puffer eingeplant, denn die Wege sind lang. Blöd nur, dass die Aufzüge „nur in Beamten-Geschwindigkeit“ fahren, wie es ein User auf Reddit so passend beschreibt.

Hier einmal angekommen warten zwei Probleme auf die Reisenden: Erstens sind Sitzgelegenheiten absolute Mangelware und zweitens bläst gerade jetzt im Januar ein eisiger Wind im Untergeschoss. Toll! Wer bringt nicht gerne mehr Kleidung mit, weil es im Bahnhofsgebäude zieht?

Grund für das Gebläse sind übrigens die fehlenden Zwischendecken. Auch richtig unpraktikabel gelöst ist die Situation an den oberen Gleisen: Wagen es die hier täglich abgefertigten 330.000 Menschen nämlich, einen Koffer dabei zu haben, wird es dort richtig eng. Zusammengequetscht, schon bevor man in die Bahn steigt – das ist Berlin, immer ein bisschen mehr von allem. Ein Malheur, das auch der Deutschen Bahn immer bewusster zu werden scheint, denn wegen gestiegener Fahrgastzahlen soll es einen Umbau an Bahnsteigen und Ausgängen geben.

Wer dann stehend und frierend auf seinen Zug wartet, hat sich natürlich auf dem Weg von den zahllosen Ketten was zu Essen mitgebracht: Es ist entweder mit Käse überbacken oder hat eine dicke Zuckerschicht darüber. Was Nahrhaftes für eine Reise? Das ist auch wirklich zu viel verlangt, oder?

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