Wohnungsmangel
WELTplus vom 29.12.2023 von Michael Fabricius/Michael Höfling

Die Krise am Wohnungsmarkt hat sich in diesem Jahr noch einmal dramatisch ausgeweitet. Doch wer trägt die Schuld an diesem Desaster? WELT hat das Handeln aller relevanten Marktteilnehmer und Institutionen analysiert und legt ihre Fehler offen.

Mit Blick auf die Lage am Wohnungsmarkt in Deutschland ist es ein denkwürdiges Jahr, das in wenigen Tagen endet. Nachdem infolge der Pandemie-Lockdowns Lieferkettenprobleme wirksam wurden, gefolgt von massiver Verteuerung der Baumaterialien, dem Preisanstieg der Energieträger und einem sprunghaften Zinsanstieg, hätten vermutlich viele Marktteilnehmer erwartet, dass es 2023 nicht noch schlimmer kommen könne.

Doch genau das geschah. Mehrfach mussten die Prognosen für die Fertigstellungen von Wohnungen zurückgenommen werden, dieses Jahr dürften nur etwas mehr als 200.000 neue Einheiten fertig werden. Experten sprechen von bis zu 700.000 insgesamt fehlenden Wohnungen.

Wer mit durchschnittlichen Ersparnissen eine Immobilie kaufen wollte, blieb in Warteposition, weil die Verkäufer von Bestandsbauten noch in der alten Preiswelt verharren und bei Neubauten die Kalkulationen der Bauträger kollabierten, Projekte deshalb einfach abgesagt wurden. Und wegen Chaos in Gesetzgebung und Förderpolitik verschoben viele Immobilienbesitzer eventuelle Sanierungspläne erst einmal in die Zukunft.

WELT hat das Handeln der relevanten Marktteilnehmer und Institutionen, der sogenannten Stakeholder am Wohnungsmarkt, im endenden Jahr analysiert und zeigt auf, welche Fehler an welchen Stellen einem Umschwung im Weg standen und stehen.

Bauministerium in der Kritik
Die Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen , Klara Geywitz, steht im Zentrum der Kritik, seitdem sie Anfang der Legislaturperiode den Neubau von 400.000 Wohnungen pro Jahr versprochen hat. Dieses Ziel musste sie einkassieren, doch die Schuldfrage ist nicht so einfach zu beantworten. In der Bau - und Immobilienbranche gilt der plötzlich gestiegene Zins unisono als größte Baubremse , gefolgt von gestiegenen Materialkosten.

Die SPD- Ministerin verfügt nur über ein schmales Budget, musste ein komplett neues Ressort aufbauen und steht hinter den Kulissen in Konfrontation zum Grünen-geführten Wirtschaftsministerium. Zum Heizungsgesetz blieb sie auf Abstand und sorgte dafür, dass zunächst eine kommunale Wärmeplanung stattfinden muss, bevor die neuen Heizungsregeln scharf geschaltet werden. Geywitz brachte dieses Jahr ein Paket zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung mit den Ländern auf den Weg, sowie eine Reform des Baugesetzbuches , das auch im Außenbereich von Städten und in Gewerbegebieten das Bauen erleichtern soll.

Mit solchen und ähnlichen Plänen etwa zur Vereinfachung von Bauregeln hat sie ihre direkten legislativen Zuständigkeiten weitgehend ausgereizt. Nicht zu unterschlagen ist, dass Länder und Gemeinden die eigentlich Verantwortlichen für den Neubau sind. Politisch stemmte sich Geywitz gegen eine EU-Sanierungspflicht, gegen das Grünen-Paradigma der Energie-Optimierung jedes einzelnen Gebäudes - allerdings auch gegen eine allgemeine Zins-Subvention für die Bau - und Immobilienwirtschaft.

Denkwürdig in diesem Zusammenhang war eine Diskussionsrunde auf der Immobilienmesse "Expo Real", in der sie gegen ein "bedingungsloses Grundeinkommen" für die Immobilienbranche plädierte. Ordnungspolitisch und vor dem Hintergrund des kollabierten Klima- und Transformationsfonds lässt sich das rechtfertigen, und ohne den Finanzminister gibt es ohnehin keine umfassenden Milliarden-Subventionen.

Doch geholfen hat es eben auch nicht. Neues Geld hingegen gab es über das KfW-Förderprogramm "Klimafreundlicher Neubau (KFN)", das Geywitz zwischenzeitlich sogar aufstockte. Vergebens: Mitte Dezember waren die Töpfe wegen der großen Nachfrage plötzlich leer.

Wirtschaftsministerium und das Gebäude-Energie-Gesetz
Ende Februar waren erstmals Details aus der geplanten Novelle des Gebäude-Energie-Gesetzes durchgesickert, das größtenteils auf Ideen des damaligen und später geschassten BMWK-Staatssekretärs Patrick Graichen basierte. Bereits acht Wochen später zeigten sich erste drastische Folgen für den Immobilienmarkt: Makler und Immobilienverbände berichteten von sinkender Nachfrage und deutlich fallenden Preisen bei unsanierten Häusern.

Der Markt preiste sofort ein, dass diese erst für den laut der Novelle quasi verpflichtenden Einbau der strombetriebenen Wärmepumpen ertüchtigt werden müssen. Das Chaos in Kommunikation und Umsetzung der geplanten Gesetzgebung verunsicherte Käufer und Verkäufer gleichermaßen.

Volkswirtschaftlicher Aufwand und Ertrag für den Klimaschutz stehen dabei in einem absurden Verhältnis zueinander. Im Laufe des Jahres halbierten sich auch die Anträge für eine Wärmepumpen-Förderung, stattdessen stürzten sich die Hausbesitzer auf Gasheizungen.

Das Wirtschaftsministerium ist auch sonst zuständig für die energetische Sanierung, und die Grünen verfolgen weiterhin die Idee, jedes Gebäude um jeden Preis energetisch zu optimieren sowie möglichst keine neuen Flächen zu bebauen. Entsprechend sind die Förderprogramme ausgelegt, die viele Mitnahmeeffekte für wohlhabende Hausbesitzer bieten.

Günstige grüne Energie dagegen: Fehlanzeige. Wo die Sanierung den Verkehrswert übersteigt und Neubau nicht lohnt, könnte dem Markt so ohne Not durch ersatzlosen Abriss wertvoller Wohnraum verloren gehen.

Um nach dem Karlsruher Urteil zum Klimafonds einen Verfassungsbruch abzuwenden, fielen den nun erforderlichen Einsparungen zu guter Letzt auch noch Teile der vollmundig verkündeten großzügigen Förderungen für die Wärmepumpe zum Opfer. Zurück bleibt ein verschrecktes Umfeld in banger Erwartung des nächsten BMWK-Flops. Für den Markt ist das Gift.

Innenministerium und Migration
Zur desaströsen Lage am Wohnungsmarkt trägt auch das Innenministerium unter Nancy Faeser seinen Teil bei. Nach Deutschland reisen monatlich rund 20.000 Asylsuchende ein, meist unerlaubt aus unseren sicheren Nachbarländern - aufs Jahr werden es 350.000 sein, zuzüglich 130.000 Familienangehörige, die vom Auswärtigen Amt die Genehmigung zum Familiennachzug erhalten haben.

Zugleich gibt es nicht den politischen Willen, diese Entwicklung zu beenden, und auch Abgelehnte werden meist nicht abgeschoben. Vor Ort in den Kommunen ist die Lage dramatisch: Selbst Bürgermeister und Landräte mit SPD- oder Grünen-Hintergrund schlagen Alarm, Flüchtlinge werden in Trauerhallen, teuren Hotels und in Absprache mit Eigentümern "in Anspruch genommenen" Wohnungen untergebracht.

Private Vermieter berichten von einer zunehmenden Konkurrenz zwischen "regulären" Mietern und den vom Staat geförderten Mietern. Unter dem ungebremsten Ansturm auf die Metropolräume kollabiert der dortige Wohnungsmarkt.

Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als der soziale Frieden im Land. Das BMI lässt es geschehen.

Bündnis bezahlbarer Wohnraum
Die Arbeitsgruppe gab es bereits seit 2017 unter der Regierung Angela Merkel, heißt jetzt nur anders. Einmal im Jahr treffen sich Vertreter der Bundesregierung, der Länder, Immobilien- und Bauverbände sowie andere gesellschaftspolitische Gruppen, um zu beraten. So breit das Bündnis aufgestellt ist, so flach fallen in der Regel auch die Ergebnisse aus.

Eines der wichtigsten konkreten Ergebnisse der diesjährigen Sitzung war die - wiederum von Ministerin Geywitz initiierte - Absage an das Effizienzhaus 40 als neuer verpflichtender Baustandard . Ansonsten wurde eine größere degressive Steuerabschreibung für Neubauten beschlossen (eher eine Maßnahme für Investoren), eine Förderung für den Umbau von Gewerbe- in Wohnimmobilien und leichterer Zugang zum KFN-Förderprogramm (Ergebnis siehe oben).

Die vor allem für die Länder schmerzhaften Themen wie bundeseinheitliche Bauordnung oder Grunderwerbsteuer-Freibeträge für private Immobilienkäufer dagegen ließ man aus. Unter den Maßnahmen sucht man vergeblich nach Ideen für "bezahlbaren Wohnraum" - zumal die Interessen von Mietern dieses Mal komplett unter den Tisch fielen. Nicht einmal die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlängerung der Mietpreisbremse oder Absenkung von Kappungsgrenzen wurden beschlossen.

Projektentwickler haben Zinsentwicklung unterschätzt
Weit über zehn Jahre herrschte Goldgräberstimmung in der Branche der Projektentwickler. Seit 2010 stiegen die Objektpreise im Schnitt um 66 Prozent. Doch mit der Zinswende, die die Europäische Zentralbank als Reaktion auf die lange verleugnete Inflation viel zu spät und zu abrupt einleitete, kehrte sich dieser Aufwärtstrend in einen Abschwung um, der bis heute anhält und den Markt lähmt.

Viele Entwickler haben diese Entwicklung massiv unterschätzt. So hatten sie ihre Projekte nicht ausreichend durch Zinssicherungsgeschäfte abgesichert, sie oft mit zu hohem Fremdkapitalanteil finanziert und langfristige Kalkulationen auf günstige Kredite aufgebaut.

Viele verzichteten zudem darauf, Liquidität zur Seite zu legen, manche refinanzierten sogar neue Projekte mit einer neuen Beleihung noch nicht bebauter Grundstücke oder laufender Projekte - was unter anderem zum Zusammenbruch der Signa Holding von René Benko führte.

Parallel zu den Finanzierungskosten stiegen auch die Baukosten , was die Margen weiter drückte. Und zu allem Überfluss brach auf Käuferseite die Nachfrage nach Immobilien weg, sodass die Entwickler länger als erwartet oder vollständig auf ihren Projekten sitzenblieben.

Experten erwarten den Höhepunkt der Krise mit einer Marktbereinigung erst Mitte 2024. Wie schlimm die Krise ausfällt, wird auch davon abhängen, ob die Branche ihre Strategien anpassen und sich auf das veränderte wirtschaftliche Umfeld einstellen kann.

Wohnungskonzerne und Neubauten
Die großen börsennotierten Konzerne Vonovia und LEG haben sich frühzeitig aus ihrer Verantwortung gezogen und laut verkündet, dass sie keine neuen Wohnungen mehr bauen würden. Vonovia etwa rechnete vor, dass Neubaumieten von mindestens 18 Euro nötig seien - was deren Klientel aber nicht aufbringen könne. Wenn man Baukosten von 4500 Euro pro Quadratmeter bei vier Prozent Zinsen zugrunde legt, kann das auch so sein.

Überraschend ist jedoch, dass viele kommunale oder genossenschaftliche Akteure bundesweit trotzdem noch bauen, auch zu niedrigeren Mieten. Im November gab es sogar noch einen Anstieg der Baugenehmigungen für Mehrfamilienhäuser. Ganz unmöglich ist der Mietwohnungsbau offenbar also nicht, es kommt wohl darauf an, wem das Grundstück gehört, wie teuer dieses gewesen ist und welche Kosten tatsächlich entstehen.

Eine Lehre aus dem Krisenjahr 2023 lautet: Der Bau von Mietwohnungen ist für private oder börsennotierte Unternehmen tendenziell eine Schönwetterveranstaltung. Wird es rumpelig, bleiben eher die weniger gewinnorientierten Bauherren übrig.

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