Der Senat gibt Teil eins der Charta Molkenmarkt bekannt: wie das neue Quartier aussehen, wer dort wohnen und wie es darüber hinaus genutzt werden soll. Aber: Wer bezahlt?
Berliner Zeitung vom 22.08.2023 von Maritta Adam-Tkalec

Das Bild vom Molkenmarkt der Zukunft gewinnt Konturen: Nach dem am Dienstag vom Senat beschlossenen Rahmenplan soll der historisch bedeutsame urbane Raum als Stadtquartier „mit Geschichte und einer vielfältigen Mischung“ bebaut werden, wie in einer Pressekonferenz mitgeteilt wurde. Der Rahmenplan ist ein Bestandteil der Charta Molkenmarkt, zu der auch ein Gestaltungshandbuch gehören wird, das die konkrete Umsetzung des Plans beschreibt.

Doch schon jetzt gibt es etliche konkrete Festlegungen. Entstehen soll ein „klimaresilientes und hitzerobustes“ Stadtquartier . Die 450 geplanten Wohnungen werden überwiegend von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften WBM und Degewo errichtet, die Hälfte davon soll „mietpreisgedämpft“ vergeben werden. Auf diesem Wege soll Wohnraum für „unterschiedliche Lebensmodelle, Alters- und Sozialstrukturen“ entstehen, eine Berliner Mischung.

Fünf Blocks – A bis E – werden jeweils besondere Charakteristika haben, in denen historische Bezüge in jeweils unterschiedlichem Maße sichtbar werden. Der Senat hat sich für den Wiederaufbau des Großen Jüdenhofs entschieden, weitgehend in seiner vor der Kriegszerstörung bestehenden Form, mit seiner „besonderen Kleinteiligkeit“.

Laut Plan wird der Block A zwischen Altem Stadthaus und Nikolaiviertel weitgehend der Kultur vorbehalten sein und in kleinteiliger Bebauung errichtet. Ein repräsentativer begrünter Stadtplatz ist als Mittelpunkt vorgesehen. Der nördlich davon gelegene Block B ist als ruhigerer Wohnbereich mit geschlossener Bebauung geplant. Die historischen Dachformen sind als Pendant zum gegenüberliegenden Nikolaiviertel gedacht. Am Roten Rathaus, wo bei archäologischen Grabungen Reste des historischen Elektrizitätswerks freigelegt wurden, ist ein archäologisches Fenster vorgesehen.

Läuft in den kommenden Monaten alles nach Plan, soll Block A als Erster errichtet werden, Bausenator Christian Gaebler (SPD) rechnet mit einem Baubeginn im Jahr 2026. Zwei Jahre später, so seine hoffnungsvolle Perspektive, könnten vier Blöcke vollendet sein.

Im Areal zwischen Jüdenstraße und Klosterstraße (Block C) soll es einen öffentlichen Durchgang zum Großen Jüdenhof bis zur Ruine der Klosterkirche geben sowie einen lärmberuhigten Innenbereich für die öffentlichen wie privaten Eigentümer.

Die Zukunft des Blocks D rund um die Ruine der ehemaligen Franziskaner- Klosterkirche lässt der Rahmenplan offen.
Statt einer öffentlichen Schule am Standort des historischen Gymnasiums Zum Grauen Kloster ist „als Zwischennutzung“ eine „erweiterte und zivilgesellschaftlich bespielbare Grünfläche“ angestrebt. Die Perspektive als Schulstandort wird aber ausdrücklich erwähnt.

Und schließlich Block E, eingerahmt von Kloster-, Parochial- und Littenstraße: Dieses Areal soll „als landeseigener kulturgeprägter Bereich“ entwickelt werden. Dort funktioniert heute schon das barocke Palais Podewils, das bis 1991 das Haus der jungen Talente beherbergte.

Grün von Hof bis Dach

Der grüne Faktor spielt gleich mehrfach eine Rolle: So geht aus dem Rahmenplan hervor, dass die Dächer zu mindestens 60 Prozent begrünt werden, mindestens 30 Prozent der Dachfläche sehen die Senatspläne für Solaranlagen vor. Der Gedanke, Berlin zur Schwammstadt zu machen, wird hier konkret: Grünflächen sollen laut Rahmenplan „auch auf ihre Funktionalität zur Regenwasserbewirtschaftung“ geprüft werden. Das Quartier soll autofrei bleiben. Die Vorgaben des Rahmenplans formulieren einen „hohen Anspruch an die architektonische und gestalterische Qualität“.

Dass sich die landeseigenen Wohnungsgesellschaften in einer Kooperationsvereinbarung mit dem Land Berlin verpflichten, die Hälfte der neu gebauten Wohnungen „mietpreisgedämpft“ zu vergeben, klingt angesichts der Realitäten auf dem Baumarkt ambitioniert – selbst wenn man in Betracht zieht, dass die Grundstücke für einen Euro, also gewissenmaßen gratis, in das Betriebsvermögen der Wohnungsgesellschaften übergehen. Der Quadratmeterpreis für das Gebiet am Molkenmarkt wurde vom Senat laut Bodenrichtwert auf 13.000 Euro festgelegt. Diese Summe müssten Private für einen Grundstückskauf zahlen.

Wie also sollen die sozial verträglichen Mieten finanziert werden? Nach Informationen aus der Immobilienbranche liegen die Baukosten derzeit bei 4000 Euro pro Quadratmeter. Tritt 2025 die neue Regelung zur Erhöhung der Effizienzhausstandards in Kraft, steigt der Preis auf 4800 Euro. Als weiterer Preistreiber wirkt die Inflation, sodass bis zum möglichen Baubeginn am Molkenmarkt mit weiteren Mehrkosten zu rechnen ist.

Bezahlen aus dem „Fördertopf“

Nach einem Überschlag wäre mit mehr als 5000 Euro zu rechnen, was für die Wohnungsbaugesellschaften auf Kostenmieten zuliefe, die sich auf 30 Euro pro Quadratmeter hinbewegen. Mit diesen Zahlen konfrontiert, wiegt Bausenator Gaebler den Kopf, verweist auf die Unwägbarkeiten der Zukunft, widerspricht aber nicht grundsätzlich. Wer also würde für die Mietpreisdämpfung aufkommen? „Das bezahlen wir aus dem Wohnraumfördertopf“, sagt er. Zudem würden die Gesellschaften „Gemischtrechnungen“ anstellen, in denen auch unterschiedliche Miethöhen sowie Einnahmen aus Gewerbevermietung eingehen. Und auch die Architektur müsse die Baukosten im Auge behalten.

Der Rahmenplan legt fest, was gebaut wird, aber nicht wie. Auf der Grundlage des Rahmenplans folgen nun Realisierungswettbewerbe. Da ist also noch weites Feld für Debatten – auch über die künftige Eigentümerstruktur. Laut Gaebler können auch Genossenschaften und andere „gemeinwohlorientierte Träger“ zum Zuge kommen, also auch Privatleute.

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