Der Doppelhaushalt 2022/23 steht vor dem Abschluss. Koalition erlaubt mehr Schulden
Berliner Morgenpost vom 16.06.2022 von Joachim Fahrun

Der lange erwartete Berliner Doppelhaushalt für die Jahre 2022 und 2023 hat am Mittwoch im Hauptausschuss die vorletzte Hürde genommen. SPD, Grüne und Linke votierten für das in den vergangenen Monaten an zahlreichen Stellen gegenüber dem Senatsentwurf veränderte Zahlenwerk. Wenn nächste Woche auch das Plenum des Abgeordnetenhauses zustimmt, endet die Zeit der Haushaltssperre, während der keine neuen Projekte finanziert werden dürfen. Das hatte viele Empfänger von Zuweisungen des Landes in Nöte gebracht.

Die Koalitions-Abgeordneten erlauben dem Senat, im kommenden Jahr noch mehr Kredite aufzunehmen als von der Regierung selbst geplant und auch erhebliche Risiken über Bürgschaften für Darlehen an Landesunternehmen einzugehen. Berlin darf also im laufenden Jahr Kredite über eine Milliarde Euro aufnehmen und im nächsten Jahr noch einmal 750 Millionen Euro. „Wir brauchen einen Puffer, um die Folgen der Corona- und Energiekrise abfedern zu können“, sagte der Linken-Haushälter Steffen Zillich.

Kurzfristig haben die rot-grün-roten Finanzpolitiker am Mittwoch noch einmal nachgelegt. Weitere 400 Millionen Euro Kredite darf Berlin aufnehmen, um die extrem steigenden Baukosten tragen zu können, die sämtliche öffentlichen Bauvorhaben massiv verteuern. Damit haben die Finanzpolitiker den von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) vorgesehenen Kreditrahmen noch einmal um eine knappe Milliarde Euro auf insgesamt 2,15 Milliarden Euro für die Laufzeit des Haushaltes ausgeweitet.

An anderer Stelle haben die Volksvertreter die Möglichkeiten des Senats jedoch eingeschränkt. Denn in der Summe deutlich wichtiger als die direkten Schulden aufzunehmen, sind die Bürgschaften und Gewährleistungen, mit denen das Land Kredite landeseigener Unternehmen für Investitionen abdecken möchte. Die Stadtentwicklungsverwaltung darf nach dem Willen der Abgeordneten Kredite der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zur Förderung des Wohnungsbaus und der Sanierung mit bis zu 5,5 Milliarden Euro absichern. Hier wollte der Senat sich etwas mehr Freiraum schaffen und hatte mehr als sieben Milliarden Euro für Bürgschaften zur Wohnungsbauförderung vorgesehen. Das war den Finanzpolitikern aber zu üppig kalkuliert. „5,5 Milliarden Euro reichen aus“, sagte der Linken-Politiker Zillich.

Für die Flughafengesellschaft Berlin -Brandenburg darf der Senat mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses bis zu 1,295 Milliarden Euro Darlehen absichern. Die Volksvertreter haben sich jedoch ausbedungen, über die genauen Konditionen solcher Garantien informiert zu werden.

Weitere sechs Milliarden Euro Landesbürgschaften sollen für andere Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Darunter fallen auch „die Gründung und der Erwerb von Beteiligungen auf dem Gebiet der Wasser-, Energie- und Fernwärmeversorgung, der Schulbau sowie strategische Investitionen von Landesunternehmen“, heißt es im beschlossenen Änderungsantrag der Koalition.

600 Millionen Euro der Gesamtsumme stünden für die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Energie zur Verfügung, um damit einen Kreditauftrag an die landeseigene Investitionsbank IBB zur Finanzierung der Übernahme von Energienetzen durch landeseigene Gesellschaften zu ermöglichen. Damit hat der Senat nun die Bewegungsfreiheit, um in den kommenden Monaten die Verhandlungen über eine Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung zu führen.

Es geht dabei um den Kauf des Gasnetzes, des Betreibers und Gasversorgers Gasag und auch über das Fernwärmesystem mitsamt der großen Kraftwerke, die der schwedische Energiekonzern Vattenfall aller Voraussicht nach abgeben möchte.

In der rot-grün-roten Koalition ist man sich jedoch noch nicht einig, ob ein Rückkauf der Energie-Infrastruktur anzustreben ist. Besonders die Grünen sehen kritisch, Geld für das Gasnetz auszugeben, weil sie Gas generell nur noch für eine Übergangslösung zur Energieversorgung halten. Sozialdemokraten und Linke hingegen halten es für wichtig, nach dem Stromnetz auch die Gas-Infrastruktur in die öffentliche Hand zu bekommen. Denn für die Energiewende halten sie es für hilfreich, beide Netze aus einer Hand zu managen.

Der SPD-Wirtschaftspolitiker Jörg Stroedter hatte sich jüngst im Abgeordnetenhaus eindeutig auch für den Rückkauf der Fernwärme stark gemacht, die in den 90er Jahren privatisiert wurde und später beim schwedischen Staatskonzern Vattenfall gelandet war.

Gasag-Chef: Gaspreise haben sich nachhaltig vervierfacht

Aktuell plagen die Politiker aber noch ganz aktuelle Sorgen. Im Wirtschaftsausschuss des Parlaments ließen sie sich am Mittwoch von Experten die Folgen des beschlossenen Embargos von russischem Öl und einem möglichen Einfuhrstopp auch für Gas auf Berlin -Brandenburg und Ostdeutschland haben würde.

Die kurzfristige Perspektive klang bedrohlich. „Die Gaspreise haben sich nachhaltig vervierfacht“, sagte Gasag-Chef Georg Friedrichs. Auch die Preise für Energie insgesamt würden weiter steigen, das werde in Berlin „soziale Probleme“ auslösen. Dennoch gehe er davon aus, dass die Berliner auch im kommenden Winter warm duschen und ihre Wohnungen heizen können. Simon Markgraf von der Berliner IHK sagte, Berlins Wirtschaft würde von einem Öl- und Gasembargo extrem getroffen werden.

Die Gaspreise haben sich nachhaltig vervierfacht.
Georg Friedrichs, Gasag-Chef

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