Ein Teil der Friedrichstraße soll dauerhaft autofrei werden. Doch Anlieger halten dagegen – und erklären den Verkehrsversuch für gescheitert
Berliner Zeitung vom 01.04.2022 - von Peter Neumann

Die Bilanz ist niederschmetternd. „Immer mehr Ladenschließungen, Umsatzrückgänge, Besuchermangel, Trostlosigkeit, die Optik einer Dauerbaustelle und Berlins peinlichste Fahrradrennstrecke“: So charakterisiert ein Aktionsbündnis, das sich in Mitte gegründet hat, den eigenen Bereich – die Friedrichstraße. Als Ursache der Misere benennt es den Verkehrsversuch, der dazu geführt hat, dass auf einem Abschnitt seit anderthalb Jahren keine Autos mehr fahren dürfen. Jetzt verlangen die Bürger und Verbandsvertreter aus dem östlichen Stadtzentrum, die Versuchsanordnung wieder abzubauen.

„Das Aktionsbündnis fordert von der Berliner Politik den sofortigen Stopp des Verkehrsversuchs ‚Flaniermeile‘, gemeinsame Überlegungen für echte Alternativen und ein Verkehrs - und Tourismuskonzept für Gesamt-Mitte“, heißt es in einer Mitteilung. Das Konzept müsse den Lieferverkehr regeln und zeigen, wie künftig Autos, Taxis, Touristenbusse oder öffentliche Busse ohne endlose Staus durch Mitte kommen.

Radfahrstreifen auf der Fahrbahn

Seit Ende August 2020 ist der Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße für Kraftfahrzeuge gesperrt. In der Mitte wurde mit gelbem Klebeband ein rund vier Meter breiter Radfahrstreifen markiert, der gut genutzt wird. Der verbliebene Platz links und rechts davon wurde zum Fußgängerbereich. Holzkonstruktionen, Parklets genannt, bieten Sitzgelegenheiten. In Glasvitrinen, die hier Showcases heißen, können sich Geschäfte und andere Anrainer präsentieren.

Bezirk und Senat sprechen von einer „Flaniermeile Friedrichstraße “ und von einem erfolgreichen Verkehrsversuch. Wie berichtet zeigen Handydaten, dass die Zahl der Menschen, die sich in dem Bereich aufhalten, seit dem Beginn der Umgestaltung deutlich gestiegen sei. Doch Anrainer sind skeptisch. Nichts von dem, was dort geschehen sei, „erhöht die Aufenthaltsqualität in diesem hauptstädtischen, geschichtsträchtigen, kulturell und touristisch herausragenden Mitte-Bereich oder macht sie zu einer Flaniermeile“, entgegnete das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße “.

„Die in der Friedrichstraße und in umliegenden Straßen ansässigen mittelständischen Unternehmen, Gewerbetreibenden, Gastronomen, Hoteliers, Tourismusvertreter und Anrainer erklären diesen Verkehrsversuch für gescheitert“, betonte der Zusammenschluss, der sich am 16. März gegründet hat. Ihm gehören mehrere Verbände an: der Anliegerverband Die Mitte, der Wirtschaftskreis Mitte unter dem Vorsitz des CDU-Politikers Frank Henkel, die IG Gendarmenmarkt, die Freunde und Förderer Gendarmenmarkt Berlin sowie die Zukunft Gendarmenmarkt. Damit sind auch Anlieger der Charlottenstraße vertreten, die nach Einschätzung von Anliegern nun stärker mit Verkehr belastet ist.

Ziel des Bündnisses ist es nach eigenen Angaben, alle Aktionen und Bemühungen zum Erhalt einer attraktiven Friedrichstraße und der unmittelbaren Umgebung zu bündeln und zu unterstützen. Allerdings haben die Mobilitätsverwaltung unter Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) und das Bezirksamt Mitte immer wieder deutlich gemacht, dass der Schauplatz des Verkehrsversuchs autofrei bleiben soll. Wie berichtet bereitet die Verwaltung die Teileinziehung vor, die darauf zielt, den Kraftfahrzeugverkehr von dem bislang provisorisch gesperrten Abschnitt dauerhaft auszuschließen.

Unterdessen werde an den jetzigen Gestaltungselementen gearbeitet, so Jaraschs Sprecher Jan Thomsen. „Die bisherige Straßenmöblierung wird regelmäßig gereinigt, die übrigens sehr gut ausgebuchten Showcases bei Bedarf repariert. Im April werden sechs zusätzliche, begrünte Sitzmöbel geliefert“, berichtete er. „Mit Beginn der neuen Pflanzsaison im April werden alle vorhandenen Pflanzkübel, sofern nötig, mit einer Neubepflanzung ausgestattet, die sechs neuen Sitz-Elemente werden ebenfalls begrünt.“

„Die Frage lautet: Was wollen wir, was will Berlin mit der Friedrichstraße und Unter den Linden anfangen? Mit Straßen, die nicht nur Verkehrswege sind, sondern auch kulturelle Orte“, sagte Guido Herrmann, Vorsitzender von Die Mitte, der Berliner Zeitung. „Die Menschen nutzen Stadtraum, der für sie authentisch ist. Die Dinge müssen im Fluss sein. Doch im Bereich des Verkehrsversuchs steht alles still, auf dieser Straße liegt Mehltau. Entwicklung wurde abgewürgt.“ Der Verband fordert, die künftige Gestaltung des Bereichs professionell anzugehen. „Die Option eines Gestaltungswettbewerbs in der Folge des Verkehrsversuchs ist bereits seit langem Bestandteil der Überlegungen“, entgegnete Verwaltungssprecher Thomsen.

Giffey unzufrieden

Das Projekt „Autofreie Friedrichstraße “ hat nach Einschätzung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bisher nicht geklappt und sollte überarbeitet werden. Eine Rückkehr der Autos schloss sie nicht aus. Sie sei „nicht zufrieden“, sagte Giffey am Donnerstag dem Radiosender 105’5 Spreeradio. „Die Flaniermeile Friedrichstraße muss anders aussehen“, sagte Giffey. Die Straße müsste so gestaltet werden, dass sie „ansehnlich ist, ein lebenswerter Ort ist und dass Menschen dort angezogen werden“. (mit dpa)

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