Morgenpost vom 17.12.2023 von Isabell Jürgens

Die filmreife Geschichte vom Aufstieg und Fall des österreichischen Unternehmers René Benko ist eine, die Otto Normalverbraucher das angenehme Gruseln lehrt. Doch wohlig zurücklehnen und das Spektakel als neutraler Beobachter genießen kann wohl niemand – am allerwenigsten die Beschäftigten in den Galeria-Warenhäusern. Denn wenn das von Benko geschaffene Firmenkonstrukt der Signa-Gruppe immer weiter in sich zusammenfällt, droht es dabei auch die Kette Galeria Karstadt Kaufhof mit in den Abgrund zu reißen. Die Frage, was von dem einstigen Imperium noch zu retten ist und vor allem wie, sorgt in der Hauptstadt für heftige Kontroversen.

Die rasante Karriere des 1977 in Innsbruck geborenen Schulabbrechers begann mit dem Ausbau von Dachgeschossen zu Luxuswohnungen. Im Alter von 20 Jahren soll er bereits seine erste Million verdient haben. Im Jahr 2000 gründete er das Immobilienentwicklungsunternehmen Signa, das schnell zu einem komplexen, milliardenschweren Unternehmensverbund wuchs. Ab 2010 kaufte die Signa auch in Deutschland. Der größte Deal ließ nicht lange auf sich warten: 2013 erwarb ein Konsortium um die Signa Holding das KaDeWe am Wittenbergplatz und 16 weitere von Karstadt gemietete Häuser.

Doch Signa übernahm schließlich auch den Betrieb der Warenhäuser. Seit 2013 existieren unter dem Dach der Signa Holding zwei getrennte Kerngeschäftsbereiche mit den Namen Signa Real Estate (Immobilien) und Signa Retail (Handel), die nun auch den Betrieb der schon damals angeschlagenen Warenhauskette Karstadt übernahm. Geschäftsbanken und Investoren zu überzeugen, ihr Geld in sein Unternehmen zu stecken, an dem andere schon gescheitert waren, fiel dem charmanten Österreicher offenbar leicht.

Den Selfmade-Milliardär hieß man in Politik und Wirtschaft längst herzlich willkommen. Im Signa-Beirat tummelten sich bald Prominente wie der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking oder Österreichs Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Dass das vermeintliche Wirtschaftswunderkind 2012 in Wien in einem Korruptionsprozess zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt wurde, störte offenbar niemanden. Superreiche wie der griechische Reeder und Kunstsammler George Economou, die Peugeot-Familie, der Unternehmensberater Roland Berger oder Fressnapf-Gründer Torsten Toeller oder auch Versicherungen wie die Münchener Rück und Allianz investierten weiter ihr Geld in die zahlreichen Bauvorhaben der Gruppe.

Das ging auch in Zeiten der Niedrigzinsphase, in der Benko das Hochhaus Upper West am Breitscheidplatz kaufte, lange gut. Das Konzept Warenhaus war schon fast totgesagt, da übernahm Benko 2018 auch noch Kaufhof und fusionierte das Unternehmen mit Karstadt. Seit Juni 2019 ist Signa alleiniger Eigentümer von Galeria Karstadt Kaufhof.

Finanzielle Schwierigkeiten zeichneten sich im Laufe des Jahres immer deutlicher ab

Dass der Konzern mit seinen Hunderten Tochtergesellschaften ernstlich in finanziellen Schwierigkeiten steckte, zeichnete sich dann im Laufe dieses Jahres immer deutlicher ab. Um Rechnungen bezahlen zu können, verkaufte Signa in Berlin im großen Stil. Das KaDeWe gehört der Signa seit März nur noch zur Hälfte. 49,9 Prozent übernahm die Central Group, ein thailändisches Unternehmen, mit dem sich Signa auch den Betrieb des Warenhauses in der sogenannten KaDeWe Group teilt. Sie umfasst neben dem Berliner auch die Premium-Häuser Oberpollinger in München und Alsterhaus in Hamburg.

Bereits zur Gänze verkauft ist auch der im Bau befindliche 134-Meter-Turm am Alexanderplatz. Wie die Banktochter Commerz Real im November mitteilte, hat sie das Bauprojekt „Mynd“ und das „Galeria Weltstadthaus“ am Alexanderplatz komplett von Signa Prime erworben. Zuvor war sie zu 20 Prozent beteiligt. Auch das weitgehend fertig gestellte und in Teilen vermietete Projekt „Beam“ im historischen Schicklerhaus an der Jannowitzbrücke ist bereits veräußert. Der Milliardär und Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne, der im Sommer laut Branchenberichten bereits mit einem Anteil von 50 Prozent eingestiegen war, soll dieses im November komplett übernommen haben. Auf ein weiteres Engagement Kühnes hofft man auch in Hamburg: Dort stehen die Baukräne für den Elbtower seit Wochen still.

Ein echtes Problem stellt das Bauvorhaben „P1“ an der Passauer Straße 1 dar. Das 60er-Jahre-Parkhaus gegenüber dem KaDeWe wurde für den Büroneubau abgerissen. Doch jetzt ruhen die Arbeiten, weil Signa die Rechnungen nicht bezahlen kann. Verwaist ist auch die Baustelle für das Büroensemble „Glance“ an der Franklinstraße in Charlottenburg, wo bislang nur die Baugrube ausgehoben wurde. Auch der Umbau des ehemaligen Hotels Ellington an der Nürnberger Straße in der City West steht auf der Kippe. Glücklicherweise noch nicht abgerissen ist das Schuhhaus Leiser an der Tauentzienstraße 1. Auch dort hatte Signa erhebliche Aufwertungspläne, wie das Unternehmen sie auch für Karstadt am Kurfürstendamm und am Hermannplatz hegte.

Trotz vieler Verkäufe wuchs der Schuldenberg von Ende 2022 bis September 2023 von knapp zwei Milliarden Euro auf rund fünf Milliarden Euro. Immobilienexperten gehen davon aus, dass die Thailänder die Schwäche der Signa nutzen und das KaDeWe gänzlich übernehmen werden. Und Handelsexperten hoffen, dass dies nicht nur für die Immobilie, sondern auch den Betrieb zutrifft. Denn anders als die Signa gilt Central Group – bisher mit 50,1 Prozent an der KaDeWe Group beteiligt – als gesundes Unternehmen.

Im Oktober spitzte sich die Situation weiter zu. Der Online-Sporthändler Signa Sports United meldete Insolvenz an. Signa Holding hatte dem Unternehmen eine bereits zugesagte Kapitalspritze von 150 Millionen Euro verweigert, die Firma war damit zahlungsunfähig. Der rapide Zerfall des einstigen Imperiums erwies sich in den folgenden Wochen als unaufhaltsam. Vor allem, weil die beiden tragenden Säulen des Firmengeflechts – Immobilienentwicklung und Einzelhandel – durch Corona-Pandemie, hohe Inflation und stark gestiegene Zinsen besonders betroffen sind. Hinzu kommt, dass das Vertrauen in den einstigen Liebling der Investoren aufgebraucht ist. Im November musste Benko sich auf Druck der Gesellschafter aus der Führung der Signa Holding zurückziehen und seinen Vorsitz im Beirat abgeben. Die Gesellschafter setzten den deutschen Sanierungsexperten Arndt Geiwitz als Generalbevollmächtigten ein.

Doch der Kollaps ließ nicht mehr aufhalten. Ende November meldete erst die Signa Real Estate Management Germany Insolvenz an, die Deutschlandtochter der Signa Prime Selection, in der prestigeträchtige Immobilien gebündelt wurden. Der Berliner Rechtsanwalt Torsten Martini wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Nur zwei Tage später musste mit der Signa Holding auch der Mutterkonzern die Pleite eingestehen. Sie stellte beim Handelsgericht Wien einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Am 30. November meldete der Sportartikelhändler SportScheck Insolvenz an. Das Unternehmen mit bundesweit 34 Filialen und 1500 Mitarbeitern ist nach eigenen Angaben zahlungsunfähig. Betroffen davon sind in Berlin die Filialen im Einkaufscenter Boulevard in Steglitz und in der Mall of Berlin in Mitte. Bis heute haben zahlreiche weitere Tochterunternehmen Insolvenz anmelden müssen – ein Ende ist nicht in Sicht.

Wie viel das Imperium heute noch wert ist, darüber versuchen Sanierer und Insolvenzverwalter sich ein Bild zu machen. Auf der Homepage der Unternehmensgruppe ist noch zu lesen: „Der Gross Asset Value der Immobiliengruppe (die Summe des Immobilienwertes im Besitz einer Firma, Anm. d. Red.) beträgt rund 27 Milliarden Euro und das zusätzliche Gross Development Value (Wert der Projektentwicklungen bei Fertigstellung) beläuft sich auf rund 25 Milliarden Euro.“

In Berlin wachsen angesichts der Entwicklungen bei der Signa-Gruppe die Sorgen vor weiteren Kaufhausschließungen und dem Wegfall vieler Arbeitsplätze. Galeria hat deutschlandweit noch 92 Filialen mit 13.800 Mitarbeitern. Ob sich die Hoffnung erfüllt, dass Galeria ohne Signa besser dran ist, hängt nun auch daran, ob sich neue Kapitalgeber finden. In Berlin gibt es noch zehn Galeria-Warenhäuser mit 1900 Beschäftigten: am Alexanderplatz (Mitte), am Hermannplatz (Kreuzberg), am Kurfürstendamm (Charlottenburg), an der Müllerstraße (Wedding), im Ring Center (Lichtenberg), an der Schloßstraße (Steglitz), an der Carl-Schurz-Straße (Spandau), an der Gorkistraße (Tegel), am Tempelhofer Damm 1(Tempelhof) und der Wilmersdorfer Straße (Charlottenburg). Bereits beschlossene Sache sind die Schließungen der beiden Karstadt-Kaufhäuser an der Wilmersdorfer Straße und an der Müllerstraße zum 31. Januar 2024.

Die Krise bei Galeria Karstadt Kaufhof ist jedoch deutlich älter als die der Signa. 2020 hatte die Warenhauskette erstmals ein Schutzschirmverfahren mit anschließender Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt. Anfang 2021 und ein Jahr später bekam Galeria darüber hinaus insgesamt 680 Millionen Euro aus dem Corona-Rettungsfonds WSF. Rund 680 Millionen Euro Staatshilfe stellte der Bund insgesamt bereit. Nun stehen Bund und Länder erneut vor der Frage, ob sie Galeria ein weiteres Mal helfen sollten – denn die Pleite der Warenhäuser bedeutet nicht nur den Verlust von Jobs. Es drohen darüber hinaus Verödung und Leerstand in den Innenstädten.

Das Schweizer Tochterunternehmen  Signa Retail Selection AG, zu der auch Galeria zählt , hat Ende November Gläubigerschutz bei Gericht beantragt. Experten wie Johannes Berentzen von der BBE Handelsberatung räumen der Signa-Tochter Galeria nur wenige Chancen ein, einer Zerschlagung zu entgehen. Die Liquidität, die durch das Weihnachtsgeschäft zufließe, trage vermutlich noch ein paar Monate. „Ab dem Frühjahr sieht es finsterer aus. Und dann halte ich eine Insolvenzanmeldung für unumgänglich“, sagte er der Berliner Morgenpost. Danach drohe ein Verkauf oder eine Zerschlagung, mit der „ganz sicher auch eine weitere deutliche Reduzierung des Filialnetzes“ einhergehe. Erneute Hilfen vom Bund hält Berentzen angesichts der Haushaltskrise für undenkbar, darüber hinaus aber auch nicht für sinnvoll, zumal es für den Großteil der Häuser kein tragfähiges Konzept gebe.

Von finanzieller Hilfe ist in Berlin ohnehin nicht die Rede. Stattdessen, so teilt die Wirtschaftsverwaltung mit, wolle man alle Gesprächskanäle, „zum Handelsverband, den Betriebsräten, der Geschäftsführung der GKK und zu Signa selbst“ nutzen, um die ernste Lage bewerten zu können. „Aus Sicht des schwarz-roten Senats gibt es in der aktuellen Situation und in Zukunft zwei zentrale Ziele, die auch der rot-grün-rote Senat mit dem in 2020 unterzeichneten Letter of Intent verfolgte: Der Erhalt und die Weiterentwicklung der Warenhausstandorte und der Erhalt der Arbeitsplätze“, sagte Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD). „Dies war und bleibt richtig und an diesen Zielen hält der Senat fest. Das werden wir auch gegenüber jedem künftigen Investor klarmachen und erwarten an dieser Stelle Verlässlichkeit und die Übernahme von Verantwortung.“

Benkos Privatvermögen schrumpfte zwar, Milliardär dürfte er aber immer noch sein

Neben dem Betrieb der Warenhäuser muss auch für die stockenden Bauvorhaben in der Stadt eine Lösung her. Vor allem die ohnehin umstrittenen, ehrgeizigen Neubaupläne für die Karstadt-Areale Kurfürstendamm und Hermannplatz stehen zur Disposition. Julian Schwarze, Sprecher für Stadtentwicklung bei den Berliner Grünen, sieht dafür eine Mitverantwortung beim Senat. Dieser habe trotz aller Warnungen und Alarmsignale lange so getan, als wäre das Unternehmen ein zuverlässiger Partner. „Es ist höchste Zeit, im Umgang mit Signa jetzt einen Paradigmenwechsel einzuleiten“, so Schwarze. Statt die Interessen von Signa in den Mittelpunkt zu stellen, müssten die Bedürfnisse der Nachbarschaft und der Kaufhaus-Beschäftigen Grundlage für Planungen sein. „Umso wichtiger ist es jetzt, dass Pläne aufgestellt werden, wie die Kaufhäuser ohne Signa funktionieren können.“ Ähnlich sehen es die Linken. „Ich fordere den Senat erneut auf, die Bebauungspläne der Signa jetzt sofort einzustellen und nach dem Vorbild zahlreicher Kommunen die Grundstücke und Warenhäuser in öffentliches Eigentum zu überführen“, so Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion.

Der Senat hält davon nichts. „An den städtebaulichen Zielen für die beiden Standorte ändert sich ja nichts. Diese Ziele gehen über die wirtschaftlichen Einzelinteressen von Signa hinaus“, sagte Martin Pallgen, Sprecher von Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD). Schließlich gehe es um die Sicherung von Arbeitsplätzen und eine integrierte Standortentwicklung. Die Planungen dafür, so Pallgen weiter, seien an einem Punkt, an dem sie noch keine Rechtsverbindlichkeit entfalten, „sodass hieraus keinerlei Verpflichtungen und/oder Schaden für das Land Berlin entstanden sind – weder finanziell noch planungsrechtlich “, versicherte er. Allerdings würden in der jetzigen Situation in den beiden Verfahren keine weiteren formalen Schritte mehr vorgenommen, bis klar sei, welcher leistungsfähige Partner bereitstehe, um die Planungsziele des Landes Berlin umzusetzen. „Mit diesem leistungsfähigen Partner wird man dann, aufbauend auf der bisherigen Planungsarbeit , weitermachen können“, sagte Pallgen. Projekte wie die Passauer Straße liegen dagegen in der Verantwortung der Bezirke, da ist der Senat nicht involviert. Die Einflussmöglichkeiten seien relativ gering. Im Vordergrund stehe nun erst einmal die Baustellensicherung . „Im Moment wissen wir alle nicht, welchen Ausgang die Insolvenzverfahren nehmen werden und was das für die einzelnen Projekte bedeutet“, sagte Pallgen.

Und Benko selbst? Auch sein Privatvermögen ist erheblich geschrumpft, da es vor allem auf seinem Anteil an der Signa fußte. 2019 wurde Benko erstmals auf der „Forbes Billionaires List“, der Liste der reichsten Menschen der Welt, aufgeführt. Sein Vermögen wurde noch im Sommer 2023 von Forbes auf sechs Milliarden beziffert – Stand November sollen davon 2,8 Milliarden übrig sein. Doch seine 62-Meter-Luxusjacht (39 Millionen Euro Schätzwert) wurde kurzzeitig auf einer Verkaufsplattform angeboten. Ob sie Benko noch gehört, ist offen. Seine auf 30 Millionen Euro geschätzte Kunstsammlung steht laut Berichten von „Spiegel“ und „News“ ebenfalls zum Verkauf. Der gute Ruf ist ebenfalls Geschichte. Stattdessen lassen Gläubiger Strafanzeige prüfen.

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