Tagesspiegel vom 08.12.2023 von Klaus Theo Brenner

Die Grundlage aller politischen und planerischen Entscheidungen in Berlin seit der Wende war die „Reurbanisierung“ der Innenstadt auf Grundlage der historischen Stadtbaustruktur mit Straßen, Plätzen und einer parzellierten Blockrandbebauung in Abstimmung mit den historischen Bestandsbauten – so weit, so gut!

Die Frage ist aber: wie? Wie können die Baublöcke als eine quasi vorgegebene Grundstruktur differenziert gestaltet werden im Zusammenspiel von Straße, Block und Haus? Genau an dieser Stelle beginnt das aktuelle Desaster am Molkenmarkt.

Das Ende der neunziger Jahre von Senatsbaudirektor Hans Stimmann erstellte „ Planwerk Innenstadt “ (unter Einbeziehung des Bereichs Molkenmarkt ) basierte auf einer parzellierten Blockstruktur – vergleichbar mit anderen Projekten der Stadtrekonstruktion in Berlin -Mitte (um den Potsdamer- und Leipziger Platz, um die Friedrichstraße , am Friedrichswerder und so weiter). Das planerische Grundmodell, das alle diese Projekte verbindet, ist ein Blockkonzept mit individualisierten Stadthäusern auf Grundlage einer verbindlichen Parzellenstruktur mit Einzelvergabe – das „Städtische Reihenhaus“.

Das planerische Ziel ist Vielfalt in der Einheit

Das Ergebnis ist eine gestalterische Vielfalt im stadträumlichen Zusammenspiel der Häuser, allerdings geprägt durch verbindliche architektonische Gestaltregeln, bezogen auf die Nutzung, die Materialität und die typologischen Charaktereigenschaften der Häuser zwischen Erdgeschoss und Dachzone. Das planerische Ziel ist die Vielfalt in der Einheit des städtischen Quartiers, wobei die konsequente Umsetzung der Parzellierung-Strategie eine wesentliche Voraussetzung ist für die „gute Stadt“ – besonders in der Innenstadt von Berlin.

Ich habe mit meinem Projekt Am Schinkelplatz in Berlin in dieser Hinsicht eine negative Erfahrung gemacht: Wir haben sieben Parzellen vorgegeben. Nach dem Ausscheiden von Hans Stimmann aus dem Senat wurde die Vergabe des Gesamtareals auf zwei Parzellen reduziert, was dazu geführt hat, dass die kleinteilige Parzellierung zwar noch erkennbar ist, aber architektonisch eher monoton umgesetzt wurde.

Das, wie oben beschrieben, in vielen Bereichen der Berliner Innenstadt erfolgreich umgesetzte Prinzip des „städtischen Reihenhauses“, basiert jedoch auf einer charakteristischen Vielfalt der Stadthäuser, realisiert auf Grundlage von Parzellierung und klaren Gestaltungsvorgaben.

Vor dem Hintergrund der Realisierungsspielregeln Straße/Block/Haus–Bauherrschaft und Parzellierung ist der aktuelle Planungszustand widersprüchlich und desaströs. Klaus Theo Brenner, Stadtarchitekt.

Was bedeutet das für den Molkenmarkt? Die Parzellierung – besonders auch im Kontext einer historischen (aber möglicherweise nicht historisierenden) Bezugnahme ist eine gestalterische Spielregel zwischen Block/Straße/Haus, sie ist aber notwendigerweise auch ein Vergabemodell an individuelle Bauherrn , wie wir das in Berlin -Mitte, aber auch in anderen Städten erlebt haben: Dom-Roemer-Areal in Frankfurt , Dresdner Neumarkt an der Frauenkirche oder in Lübeck und in Potsdam rund um das Stadtschloss.

Alle diese Projekte in Berlin -Mitte und darüber hinaus stehen für eine Stadtbaupolitik mit klaren architektonischen Vorgaben auf Grundlage einer parzellierten Blockstruktur. Am Molkenmarkt fing das Desaster schon damit an, dass die Ausschreibung des Wettbewerbs 2021 so formuliert war, als hätte es das „Planwerk Innenstadt“ (mit Molkenmarkt ) eigentlich nie gegeben – mit der Konsequenz eines offenen Entwurfsspektrums vor dem bewusst undeutlich formulierten historischen Hintergrund und ohne einen klar formulierten städtebaulichen Qualitätsanspruch.

Dieses Wettbewerbs-Desaster hat dann im Anschluss an das Wettbewerbsverfahren folgerichtig zu einem politischen Entscheidungsdesaster geführt, das über alle Unsicherheiten in Sachen Blockstruktur sich zuspitzt in der Frage Parzellierung, Bauherrn und Gestaltvorgabe, bezogen auf die Typologie des städtischen Reihenhauses.

Wenn wir jetzt das Thema Molkenmarkt vor dem Hintergrund des Entscheidungslabyrinths vom „ Planwerk Innenstadt “ über den offenen städtebaulichen Wettbewerb bis hin zur politischen Entscheidung 2023 mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und einer historisierenden Scheinparzellierung kritisch betrachten, stellt sich natürlich grundsätzlich die Frage nach der städtebaulichen Ordnung am Molkenmarkt und deren Realisierung. Hier gibt es konzeptionell betrachtet natürlich verschiedene Entwurfsmodelle auf Grundlage einer quasi vorgegebenen Blockstruktur.

Erstens, alle Baublöcke werden von einer Wohnungsbaugesellschaft einheitlich oder nach Block-Einheiten differenziert bebaut. Zweitens, alle Blöcke werden einzeln vergeben und jeweils in einer individuellen Architektursprache realisiert. Drittens, alle Blöcke werden in kleinere Blockeinheiten aufgeteilt und individuell vergeben und architektonisch gestaltet (siehe Grafik). Viertens, alle Blöcke werden parzelliert (nach dem Motto: ein Haus, eine Parzelle) und jede Parzelle wird individuell verkauft und im Rahmen eines gestalterischen Rahmenplans baulich realisiert.

Der Status Quo: ein konfuser Planungsprozess

Der aktuelle Zustand ist aber: Wir haben ein, zwei oder drei städtische Wohnungsbaugesellschaften als Grundeigentümer, die ohne einen fundierten gestalterischen Rahmenplan quasi „zum Schein“ eine parzellierte, historisch geprägte Blockstruktur realisieren sollen. Vor dem Hintergrund der oben genannten Realisierungsspielregeln Straße/Block/Haus–Bauherrschaft und Parzellierung ist der aktuelle Planungszustand widersprüchlich und desaströs.

Er bildet einen eher konfusen Planungsprozess ab, zwischen dem „Planwerk Innenstadt“, dem ergebnisoffenen städtebaulichen Wettbewerb und der politischen Kehrtwende zur parzellierten, historisch geprägten Blockstruktur.

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