Berliner Zeitung vom 05.12.2023 von Hans Wolfgang

Karl-Marx-Allee und Hansaviertel scheitern erneut im deutschen Unesco-Vorentscheid. Die Begründung lässt an der Bewerbung kaum ein gutes Haar.

Mehr als zehn Jahre amtlicher Vorbereitung und Abertausende Arbeitsstunden von Ehrenamtlichen waren umsonst. Weder Karl-Marx-Allee noch Hansaviertel dürfen Welterbe werden. Das entschied die Kultusministerkonferenz am Montag auf einer außerordentlichen Sitzung. Damit scheiterten Berlin und die baulichen Großtaten der geteilten Stadt bereits zum zweiten Mal an der deutschen Vorauswahl für die Unesco-Liste .

Die Kultusministerkonferenz hielt sich strikt an die Empfehlung ihres zehnköpfigen Fachbeirats, in dem diesmal „unbefangene“ Welterbe-Experten aus der Schweiz und Österreich dominierten. Die Begründung lässt an der Bewerbung kaum ein gutes Haar. So vermisst der Fachbeirat den Beweis, dass „Berlin universellen Einfluss auf die Stadtentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehabt“ habe. Für ebenso unzureichend belegt hält er, dass die Wechselspiele in Ost und West über die Stadt hinaus „von Bedeutung gewesen“ seien. Beides wird an der Spree nur allzu gern für selbstverständlich genommen.

Zudem zerpflückt der Fachbeirat die Ost-West-Kombination der Berliner Bewerbung. Westliche Architekturzeugnisse wie das Hansaviertel sieht er bereits hinlänglich auf der Unesco-Liste vertreten. Östliche hätten die Anerkennung als Welterbe zwar mehr als verdient – doch gebe es anderswo „wegweisendere“ Stätten als die Berliner Karl-Marx-Allee. Der zentralen Passage, mit der die Bewerbung begann, lässt sich dagegen kaum widersprechen: Ihren Sozialistischen Klassizismus belegen beispielsweise der Warschauer Kulturpalast, Moskaus Wolkenkratzer der Stalin-Ära oder Ceaușescus kapitale Bauversuche in Bukarest – und zwar keineswegs weniger welterbewürdig.

Möglicherweise hat die Ostberliner Karl-Marx-Allee allein noch eine Chance

Auch für das modernistische Westende der Karl-Marx-Allee, das erstmals zur Bewerbung gehörte, fehlt dem Fachbeirat die Einordnung. Praktisch ist die geforderte „internationale Vergleichsanalyse“ hier alles andere als leicht beizubringen: Denn mit den Plattenbauten, welche die Straße komplettierten, stand die Karl-Marx-Allee beileibe nicht allein. Seinerzeit schwenkte quasi der komplette Ostblock auf diese Konstruktionsweise um.

Möglicherweise hat die Ostberliner Karl-Marx-Allee allein noch eine Chance. Den bisherigen Bewerbungen entging nämlich ihre eigentliche Besonderheit: Nirgendwo auf der Welt treffen die beiden Hauptspielarten sozialistischen Städtebaus unmittelbarer aufeinander als hier.

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