Hotel, Boarding-Palast, Sitz der Finanzbehörden, dann ein Neuanfang. Das imposante Gebäude auf dem Kurfürstendamm hat viel hinter sich
Berliner Morgenpost vom 21.10.2023 von Thomas Fülling

Berlin Wer das Haus Cumberland in Charlottenburg finden will und sich auf die Suche begibt, der sollte auf die Autos achten. Dort, wo sich besonders viele Luxusmarken drängen, da ist es nicht weit bis zum imposanten Gebäudeensemble am Kurfürstendamm 193/194. Denn in dessen Nachbarschaft gibt es sie alle im Original: die betörenden Düfte, die exklusiven Schuhe und eleganten Kleider, die so teuer sind, dass ihre Preise auf kein Schild passen. Dafür zieren klangvolle Namen die Schaufenster der Läden: Diptyque Paris, Balenciaga, Salvatore Ferragamo oder Brunello Cucinelli. Wer hier sein Geld ausgibt, der bekommt die Einkaufstüte nicht nur zum Auto gebracht, der erhält auch noch einen Hauch Champs-Élysées gratis mit dazu.

Das war hier nicht immer so. Lange Zeit beherbergte das Cumberland statt Luxus und Eleganz Berliner Behördenmief, viele Jahre stand das Gebäude ganz leer. Entsprechend trostlos war das Ambiente – vor und hinter der Fassade. Das änderte sich, als der frühere Rennfahrer und Bugatti-Chef Thomas Bscher sowie die Projektentwickler Detlef Maruhn und Dirk Germandi sich für das Haus zu interessieren begannen. Die drei Unternehmer kauften im Juli 2010 der Orco-Gruppe die Immobilie für 30 Millionen Euro ab und investierten anschließend ein Vielfaches in die Sanierung und den Umbau des denkmalgeschützten Gebäudes. Ein überaus ambitioniertes Unterfangen. Nicht nur wegen des teils desolaten Zustands der Bausubstanz , vor allem wegen der von außen kaum erkennbaren Dimension von Haus und Grundstück. Letzteres zieht sich auf mehr als 10.000 Quadratmetern hinüber bis zur Lietzenburger Straße.

Kurfürstendamm 193/194

Was die wenigsten Berliner wissen: Genau an dieser Stelle sollte eigentlich ein Opernhaus stehen. Und zwar nicht irgendeines, sondern das größte von Berlin . Diese Idee hatte der zu seiner Zeit sehr umtriebige Bankier und Bauunternehmer Fedor Berg (1848 bis 1925). Berg kaufte 1910 die zuvor unter anderem als Zirkusplatz genutzten Grundstücke Kurfürstendamm 193/194 und Lietzenburger Straße 18–20 (heute 104–106).

Noch im selben Jahr gründete er mit anderen Kaufleuten die Große Oper Aktiengesellschaft. Stolze zwei Millionen Reichsmark – viel Geld in der damaligen Zeit – lagen für das Projekt bereit. Berg ließ ein Theater mit drei Rängen und Platz für bis zu 2700 Besucher konzipieren. Zum Vergleich: Die weltweit bekannte Pariser Oper bot damals gerade einmal Platz für 2150 Zuschauer.

Dem Berliner Polizeipräsidenten missfiel indes das Projekt. Er befürchtete allabendliche Kutschen-Staus auf dem Kurfürstendamm. Berg musste umplanen.

 Statt einer Oper sollte nun ein für Berlin völlig neuer Hoteltypus, ein „weltstädtisches Wohn- und Gasthaus“ nach amerikanischem Vorbild entstehen. Der Boarding-Palast sollte nicht nur das übliche Durchgangshotel für Geschäftsreisende werden. Stattdessen wollte Berg gut betuchte Gäste gewinnen, die einen längeren Aufenthalt in der Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches planten.

Berg beauftragte mit der Umsetzung Robert Leibnitz (1863 bis 1919), der als Architekt kurz zuvor federführend das Hotel Adlon am Prachtboulevard Unter den Linden konzipiert hatte. Leibnitz plante in dem fünfgeschossigen Neubau nicht nur rund 600 Apartments (mit bis zu acht Zimmern), sondern auch einen Grillroom, eine American Bar, ein Wellness-Bad, eine moderne Zentralheizung sowie eine Ladenpassage mit 18 Geschäften und vier begrünten Innenhöfen.

Doch Berg und sein Architekt Leibnitz waren mit ihrer Idee der Zeit weit voraus. Bereits kurz nach der Eröffnung musste der Eigentümer zur Beruhigung der deutschnationalen Eliten seinen Boarding-Palast in Hotel Cumberland umbenennen. Namensgeber sollte der 3. Herzog von Cumberland, Ernst August, sein.

Doch auch dieser Kniefall vor dem Zeitgeist verbesserte die Auslastung nicht. Im September 1913 vermeldete die Berliner Presse die Zwangsversteigerung des Hotels Cumberland. Für knapp sieben Millionen Reichsmark wechselte das Haus den Besitzer. Die 39.000 Flaschen Wein im Keller sicherte sich die Schöneberger Schlossbrauerei, wie in dem von Thomas Bscher herausgegebenen Buch „Geschichte hinter Berliner Fassaden. Das Cumberland und weitere sechs Baudenkmale “ zu lesen ist.

Aus für das Hotel kam während des Ersten Weltkriegs

Auch die neuen Besitzer bekamen das Haus nicht voll. Nur wenige Monate nach der Neueröffnung musste das Hotel Cumberland erneut – und dieses Mal endgültig – schließen. Ab 1917 wurde der riesige Gebäudekomplex von Behörden genutzt, zunächst vom Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt, nach Kriegsende dann unter anderem von der Reichsstelle für Zement, der Oberpostdirektion und dem Statistischen Reichsamt.

Ein Restaurant im Haus wurde zum Kinosaal und Theater, in dem unter anderem Karl Valentin mit dem Kabarett der Komiker auftrat. Während der Zeit der Nationalsozialismus arbeiteten im Haus Cumberland verschiedene Finanzbehörden, darunter die „Vermögensverwaltungsstelle“, die sich aktiv an der Enteignung und Ausplünderung jüdischer Bürger beteiligte. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs residierten Finanzbeamte im Cumberland, erst jene vom Landesfinanzamt, ab 1966 dann von der Oberfinanzdirektion Berlin. Nach der Wiedervereinigung blühten Ideen auf, das seit 1989 unter Denkmalschutz stehende Haus Cumberland wieder in ein Grandhotel zu verwandeln. Vom „Adlon des Westens“ war da die Rede und von einem „Investorenwettlauf um den prächtigsten Bau am Kudamm“.

Der Verkauf an die Fundus-Gruppe war bereits beschlossen, doch der Hotelbetreiber Kempinski sprang in letzter Minute ab. Stattdessen folgten ab 2003 Leerstand und Verfall. Ganz ungenutzt blieb das Cumberland in dieser Zeit jedoch nicht. So verwandelte es sich 2004 für den Hollywood-Thriller „Die Bourne Verschwörung“ mit Matt Damon und Franka Potente ins „Hotel Brecker“. 2010 drehte Leander Haußmann im Cumberland Teile seines Films „Hotel Lux“.

„Seither hat sich hier vieles verändert“, sagt Uta Rogalski. Sie arbeitet schon seit vielen Jahren als Verkäuferin am Kudamm, jetzt in einem der exklusiven Modegeschäfte im Cumberland. Sie kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Finanzbehörden ihren Sitz dort hatten. „Zum Mittagessen sind wir regelmäßig in die Kantine gegangen. Das war schon alles ein bisschen dunkler und enger hier“, erinnert sie sich.

120 Millionen Euro haben Thomas Bscher, Detlef Maruhn und Dirk Germandi nach eigenen Angaben in das Haus Cumberland investiert, um es von 2011 bis 2013 zu sanieren und umzubauen – und das alles denkmalgerecht. Ihr Konzept: eine Kombination aus exklusiven Eigentumswohnungen im hinteren sowie repräsentativen Geschäften und Büros im vorderen Teil des Gebäudeensembles. „Natürlich war alles heruntergekommen, aber noch originalgetreu vorhanden“, erinnert sich Bscher.

Das Konzept ging auf: Die knapp 200 Wohnungen und Lofts waren in kurzer Zeit verkauft, Geschäfte und Büros rasch vermietet. Doch nicht alle Ideen waren erfolgreich. So musste das Modekaufhaus von Bread&Butter-Gründer Karl-Heinz Müller wieder schließen. Auch der Gastronom Roland Mary, Inhaber des Borchardt in Mitte, gab sein Restaurant und Café Grosz (benannt nach dem Berliner Karikaturisten George Grosz) Ende 2019 auf.

Inzwischen hat Bscher bei der Gastronomie einen Neuanfang gewagt. „Wir haben in der Corona-Zeit noch mal richtig viel Geld investiert“, sagt er. In der prächtigen Empfangshalle des Hotels werden die Gäste nun seit gut einem Jahr im Ristorante Cumberland bewirtet. Geschäftsleiter ist Mika Rahimkhan, Bruder von Promi-Friseur Shan Rahimkhan.

Neun Köche aus verschiedenen Regionen Italiens folgten Rahimkhans Ruf an den Kudamm, darunter Küchenchef Roberto Sannino, der zuletzt die Küche im Il Calice leitete. „Ich habe denen gesagt: Ich möchte das, was eure Mutter und Großmutter gekocht haben. Du kannst das mit den neuen gastronomischen Techniken machen, aber der Geschmack soll der sein“, sagte Rahimkhan im Frühjahr der Berliner Morgenpost.

Trotz der vielen kostspieligen Investitionen hat der in Köln lebende Thomas Bscher sein Engagement am Kudamm nie bereut. „Berlin ist die einzige Großstadt in Deutschland. Und das Cumberland ist ein besonders schöner Teil davon“, sagt er. Wünschen würde er sich, dass die bewegte Geschichte des Hauses besser gewürdigt wird, zum Beispiel mit einer Gedenktafel an der restaurierten Fassade. „Das habe ich der Stadt schon drei Mal vorgeschlagen. Ich würde die Tafel sogar bezahlen, aber der Text muss schon von ihr kommen“, so Bscher.
Auch würde er es viel schöner finden, wenn der Mittelstreifen des Kudamms begrünt würde. Eine Veränderung der Mittelstreifensituation auf der Höhe des Cumberland-Hauses sei vom Straßen- und Grünflächenamt nicht geplant, heißt es dazu aus dem Bezirksamt. Die Autofahrer dürfte es freuen.

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