Der Umbau der historischen Mitte sollte allen Autofahrern ein paar Minuten mehr Fahrzeit wert sein, kommentiert Isabell Jürgens.
Berliner Morgenpost vom 19.04.2016 - von Isabell Jürgens

Als Stadtreparatur im Herzen Berlins bewirbt der Senat den Bebauungsplan für den Molkenmarkt. Dieser soll dafür sorgen, dass aus dem Areal hinter dem Berliner Rathaus wieder ein lebendiges Viertel wird, in dem gewohnt und gearbeitet werden kann. Eine schöne Vision, die jedoch nicht unumstritten ist. Denn für das neue Klosterviertel werden 60.000 Autofahrer, die den Straßenzug Grunerstraße und Mühlendamm täglich nutzen, auf ihre schnurgerade achtspurige Rennstrecke verzichten müssen. Im Zickzackkurs und eingeengt auf sechs Spuren soll der Verkehr auf der Ost-West-Verkehrsachse künftig am Molkenmarkt vorbeigeführt werden statt quer darüber.

>>>Reparatur am Herzen Berlins<<<

Erwartungsgemäß kritisiert der Automobilclub ADAC den am Dienstag vom Senat beschlossenen Bebauungsplan und sagt massive Rückstaus voraus. Und die wird es, zumindest in der Anfangsphase, sicher auch geben. Doch die Berliner Autofahrer sind findig und werden Ausweichrouten finden. Wer nicht direkt in die Innenstadt will, sondern die Stadt nur in Ost-West-Richtung queren muss, kann auf die A100 ausweichen, die ja gerade mit enormem finanziellem Aufwand bis nach Treptow verlängert wird. Und wer das Ziel Stadtmitte ansteuert, wird dies auch weiterhin tun können. Immerhin bleibt der Verkehr auf sechs Spuren erhalten – also genau auf der Breite, die an der Einfahrt zum Grunertunnel ohnehin vorgegeben ist.

Dazu kommt, dass die historische Stadtmitte gut an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen ist. Direkt unter der Grunerstraße verläuft die Linie U2, dazu kommt die Verlängerung der Linie U5, die 2020 abgeschlossen werden soll. In weiterer Zukunft soll auch noch die Straßenbahn über den Straßenzug zwischen Molkenmarkt und Potsdamer Platz rollen. Spurlos wird der Umbau des Molkenmarktes an den Autofahrern nicht vorbeigehen, das ist sicher richtig. Aber ein Verkehrsinfarkt, wie vom ADAC vorausgesagt, wird es auch nicht geben. Dass in Berlins Mitte nach den Zerstörungen des Krieges und dem folgenden autogerechten Umbau nun wieder Leben einziehen kann, sollte uns allen ein paar Minuten längere Fahrzeit wert sein.

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