Urania-Diskussion von Architektenkammer und Tagesspiegel
Was soll aus der Berliner Altstadt werden? Nach dem Abschluss des Bürgerdialogs sind jetzt Ideen gefragt. Experten und Abgeordnete diskutierten darüber am Montagabend in der Urania.
Der Tagesspiegel vom 01.12.2015 - von Thomas Loy

Rund um die Berliner Marienkirche an der Karl-Liebknecht-Straße ist viel Platz zur Verfügung
Der inhaltliche Schulterschluss zwischen CDU und Linke hielt den ganzen Abend lang. Da konnten kritische Fragen aus dem Publikum auch nichts dran ändern. Die stadtentwicklungspolitischen Sprecher Stefan Evers (CDU) und Katrin Lompscher (Linke) lobten die thesenartigen Ergebnisse des Bürgerdialogs zur Zukunft der Historischen Mitte und gingen jeder konfrontativen Polarisierung - Bebauen oder Freihalten - konsequent aus dem Weg. Moderator Gerd Nowakowski, Leitender Redakteur des Tagesspiegels, verwies auf das Datum 2019, dann würden 3,5 Millionen Besucher das neue Humboldt-Forum erkunden und nach konkreten Antworten verlangen, was denn nun aus der alten Ostberliner Nachbarschaft werden solle.

Die Urzelle der Stadt
Dieser Frage stellten sich Experten und Politiker in einer von Tagesspiegel, Architektenkammer und Urania organisierten Podiumsdiskussion am Montagabend. Rund 150 Gäste waren gekommen. Sie wollten hören, was Architekten, Planer und Parlamentarier aus dem alten Berlin machen wollen. Der Urzelle der Stadt, die auf der Fläche zwischen Rotem Rathaus, Marienkirche und Alexanderplatz einst als Marienviertel oder Altstadt firmierte und heute unter dem Pseudonym Historische Mitte beworben wird. Nach den Bürgern sollten jetzt die Fachleute zu Wort kommen, sagte Nowakowski.

Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer, erneuert ihre Mahnung, die gesamte Mitte in die Debatte einzubeziehen, also inklusive Fischerinsel, Molkenmarkt, Nikolai- und Klosterviertel sowie den Alexanderplatz. Diese Mitte könne als planerische Collage gedacht werden, weil die einzelnen Räume aus unterschiedlichen Epochen und politischen Phasen stammten. "Der Bürgerdialog war sicher ein guter Anfang, aber mehr auch nicht." Georg Balzer vom Arbeitskreis Stadtentwicklung warb darum, die städtebaulichen "Brüche" der Innenstadt auszuhalten, denn diese machten Berlin weltweit einzigartig. Landschaftsarchitekt Stephan Strauss verglich den Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree mit dem Central Park in New York. In der Umgebung dieses Freiraums werde es in den nächsten Jahren eine starke bauliche Verdichtung geben, damit gewinne dieser Raum weiter an Wert. Die derzeitige Situation mit U-5-Baustelle und einer mangelnden Pflege sei dieser wachsenden Bedeutung nicht angemessen.

Lompscher: "Ort der Selbstvergewisserung"
Auch Lompscher sprach von einer "vorsätzlichen Verwahrlosung" durch die U5. Die fernere Zukunft der Historischen Mitte sieht sie dagegen als "Ort der Selbstvergewisserung – so was haben wir noch nicht in Berlin". Ob beim Bürgerdialog denn eine Vision des Ortes herausgekommen sei, fragte Nowakowski den CDU-Mann Evers. "Nö, aber alle wurden an einen Tisch gebracht und haben einander zugehört", das sei ja auch schon was, wenn es vorher vor allem Streit gab. Der Bürgerdialog habe den Anspruch formuliert, die Historische Mitte möge "ein Ort sein, der Berlin Identität stiftet". Jetzt müsse man Ideen sammeln, wie dieser Anspruch umgesetzt werden könne.

Evers: "Bauliche Stützen" sind denkbar
Die Stadtentwicklungsverwaltung wolle gerne ein paar "hausinterne Vorschläge" machen, sagte Manfred Kühne, Abteilungsleiter Städtebau. Man werde außerdem Gutachten in Auftrag geben, etwa zur gewünschten Verkehrsberuhigung. Für den Platz vor dem Roten Rathaus, der laut Bürgerdialog als Agora für demokratische Debatten genutzt werden soll, müsse es weitere Diskussionen geben, ob dort Demos stattfinden sollen oder Veranstaltungen, für die man ein Gebäude braucht. Also doch bauen? Evers schließt "bauliche Stützen" zur Würdigung der Geschichte des Ortes nicht aus, Lompscher plädierte dafür, die "Stadt nach vorne zu denken statt in historischen Büchern zu blättern". Also doch ein Dissens, wenn auch ein kleiner. Und der Neptunbrunnen-Umzug, dessen Kosten der Bund gerne übernehmen würde? Evers verbesserte: "Schlossbrunnen", mehr brauchte er nicht zu sagen. Lompscher: "Wir müssen das Geld vom Bund ja nicht nehmen. Der Bund wollte auch mal das Staatsratsgebäude abreißen."

Der Tagesspiegel im Internet: www.tagesspiegel.de