Die Perle preußischer Bildungslust, im Wiederaufbau demontiert

siehe auch: Nofretete in Trümmern - Welterbe beschädigt
Stellungnahme der Gesellschaft Historisches Berlin zur Wiedereröffnung des Neuen Museums auf der Museumsinsel zu Berlin am 16. und 17. Oktober 2009

Von Mairanne Großmann, November 2009

1. Ein Fest und sein Problem

Die berühmte Museumsinsel in Berlin ist voller Geschichten. Das Neue Museum gehört hinein - erregte es doch im Oktober 2009 durch seine Wiedereröffnung besonderes Aufsehen.

Das Neue Museum - wie wurde es zur Perle preußischer Bildungslust und wie feiert es nach 70 Jahren Agonie und Zerstörung Auferstehung? Die Wiedereröffnung wird nach zweimaligen Tagen der Offenen Tür nun am 16. Oktober 2009 sein. Es ist eine zwiespältige Auferstehung, freudvoll und leidvoll zugleich. Leider haben der unauffällige Name und das Schicksal des Gebäudes dazu geführt, dass es im Bewusstsein der heutigen Gesellschaft fast verloren war.

Was für ein FEST war es einst, als um 1850 Schönheit und Bildung eine Ehe eingingen! Sie hielt bis zur Hybris des Kriegsbeginns 1939.

Das FEST begann zu einer Zeit, die in Preußen und dem vereinigten Deutschland Heroen zeugte, von deren Leistungen wir noch heute zehren -- vielleicht vergleichbar den Heroen der Renaissance in Italien.

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2. Idee, Anlass und Gründung für das Neue Museum

Nach dem für Preußen letztlich glücklichen Ausgang der Befreiung von der Napoleonischen Fremdherrschaft wollte der König seinem Volk Dank abstatten und ließ an prominenter Stelle gegenüber dem Schloss ein wunderbares Haus mit Kunstschätzen, neuartig „Museum" genannt, bauen. Zu den Kunstschätzen sollte erstmalig jedermann Zutritt haben. König Friedrich Wilhelm III. beauftragte seinen jungen Baumeister, der von seiner Frau, Königin Luise, quasi entdeckt worden war: Karl Friedrich Schinkel. Die Antike war durch Forschungen und Zufälle zum bewunderten Schönheits- und Wissensfundus geworden. Schinkel baute an der Spree ein „Spree-Athen". Für das erste öffentliche Museum wählte er als Stilanregung das schlicht-edle Pantheon in Rom! Die Eröffnung im Jahr 1830 [1] stand interessanterweise in Konkurrenz zur Eröffnung der Glyptothek [2] in München.

Dieses erste Berliner Museumshaus, heute als Altes Museum bekannt, war maßgeschneidert für die bereits vorhandenen königlichen Kunstsammlungen und schnell gefüllt. So erging es auch dem Lustschloss Monbijou, das nach dem Tod von Königin Friederike Luise, der ungeliebten Frau König Friedrich Wilhelms II. (Neffe Friedrich II.) nicht mehr als Residenz genutzt wurde, sondern seit 1820 als provisorische Sammelstätte von Kunstgegenständen der Hohenzollerndynastie. Dorthin brachte man auch die Raritäten, die einmal den Hauptzweck des Neuen Museums bilden sollten, nämlich die ersten Stücke aus dem alten Ägypten. Seit Napoleons Feldzug nach Ägypten (ab 1798) begeisterten Berichte und „Mitbringsel" von dort die Menschen in Europa. Es brach eine regelrechte Ägyptomanie aus. Man fühlte sich von der Schönheit und gleichzeitigen Fremdheit dieser uralten versandeten Kultur ungemein angezogen. Seit den ersten zielgerichteten Grabungen gehörte es in der Gesellschaft zum guten Ton, solche orientalischen Stücke in seinem Besitz zu haben. Bereits 1802 bekam Friedrich Wilhelm III. seine erste Mumie geschenkt [3] - samt Sargkasten, wie sorgfältig vermerkt wurde!

 

3. Die Funde der ersten menschlichen Hochkultur: Ägypten für jeden Interessierten

Napoleon hatte zwar 1801 als geschlagener Eroberer Ägypten verlassen müssen, aber seine mitreisenden Gelehrten begründeten mit ihren Arbeiten die Ägyptologie! Es begannen gezielte Ausgrabungen. Unter europäischem Einfluss und der späteren britischer Besatzung entdeckte Europa das Land am Nil.

1823, ein Jahr nach Entzifferung der Hieroglyphen, gelangte der erste bedeutende Ankauf ägyptischer Altertümer nach Berlin. Deshalb gilt das Jahr 1823 als das Gründungsjahr unseres Ägyptischen Museums. Es handelte sich um die große Kollektion ägyptischer Objekte des Preußischen Generalleutnants Heinrich Carl von Minutoli, der 1820 zu einer diplomatisch-wissenschaftlichen Mission an den Nil geschickt worden war. Als besonders wertvoll stellten sich später die 55 Papyrusrollen heraus, die er erworben und mitgebracht hatte.

Dann machte ein gewisser Passalacqua von sich reden, der in Ägypten erfolgreich gegraben haben sollte und der seine Funde als Raritäten in Paris zum Verkauf anbot. Passalacquas Straßenausstellung war so spektakulär, dass König Friedrich Wilhelm III. sie sich bei seinem Parisaufenthalt 1825 ansah. Auf Grund beiderseitiger Sympathie wurde man handelseinig. Passalacqua hatte außer einem königlichen Käufer einen großzügigen Arbeitgeber gefunden! 1827 wurde seine Sammlung im Schloss Monbijou aufgestellt und 1828 auf Empfehlung Alexander von Humboldts daraus innerhalb der preußischen Kunstsammlungen die erste regelrechte Ägyptische Abteilung geformt.

Passalacqua war „Erster Aufseher", über 37 Jahre lang! Die Sehenswürdigkeiten erfreuten sich großer Beliebtheit, denn schon in Monbijou war die Sammlung öffentlich! Man kam in ein langes, treibhausähnliches Gebäude mitten im schattigen Baumgehege des Gartens von Monbijou in der Oranienburger Straße.

Zeitgenosse Heinrich Brugsch berichtet über Passalacqua: Italiener aus Triest, Franzose seinem Wesen nach, machte er, ein Sechziger, den Eindruck einer vornehmen Persönlichkeit. Er wurde in allen Salons der damaligen Berliner Gesellschaft gern gesehen ...

Von Passalacqua wurden sehr fortschrittliche Ausstellungsgrundsätze geprägt, die kurioserweise jetzt wieder von Dr. Dietrich Wildung bei der Neueinrichtung des Neuen Museums angewandt werden. Passalacqua verfocht die damals neue Auffassung, dass schon die Art der Aufstellung pädagogische Wirkung hat. Und da man in diesem Anfangsstadium noch kaum etwas über die Datierung der Fundstücke wusste, entschied er sich für eine Gliederung nach thematischen Gesichtspunkten:

Als im Laufe der Jahre, dank einsetzender wissenschaftlicher Forschung, in der Altersbestimmung der ägyptischen Kultur große Fortschritte gemacht wurden, wirkte sein Beharren auf einer sachlichen statt chronologischen Ordnung altmodisch.

Im Monbijou war es inzwischen durch weitere Ankäufe eng geworden:
Der Konsul Bernardino Drovetti (1776-1852) brachte 1836 u. a. einen sechs Tonnen schweren Steinsarkophag und zwei Kolossalstatuen nach Berlin. 1839 kam noch die Sammlung Saulnier dazu. Dann trat Karl Richard Lepsius auf, ein junger Enthusiast für alles Alt-Ägyptische, der sich intensiv mit den Hieroglyphen und ihrer Lesbarkeit befasste. Ihm war der Ankauf zweier Granitkolosse ägyptischer Könige gelungen, für die man schon keinen Platz zur Aufstellung mehr fand. Dem wurde später noch die Krone aufgesetzt, als er durch seine erfolgreiche Expedition nach Ägypten einen überaus reichen Ertrag heimbrachte.

Also wohin mit den ägyptischen Schätzen?
Eine Umlagerung der ägyptischen Schätze ins damals einzige Museum, den Schinkelbau am Lustgarten, kam nicht infrage, weil es bereits voll war.

Ein Durchbruch der Museumswünsche gelang auf Initiative des jungen Thronfolgers Friedrich Wilhelm IV. Bereits ein Jahr nach Regierungsantritt hatte er 1841 die „Kabinettsorder zur Umwidmung der ganzen Insel hinter dem Museum zu einer Freistätte für Kunst und Wissenschaft" erlassen. Die verstreuten königlichen Sammlungen wollte er konzentriert ausstellen, seinem Volk zur Erbauung und Bildung. Damit war der großartige Gedanke der Museumsinsel geboren.

Der König hatte die Gabe, intelligente Männer zu erkennen. Insbesondere verband ihn Freundschaft zu dem berühmten Weltreisenden und Naturforscher Alexander v. Humboldt [4]. Das betraf auch den noch von seinem Vater berufenen Museumspraktiker Olfers, den Architekten des Spätklassizismus Stüler und den Forscher Lepsius.

Wer war Karl Richard Lepsius?
Spätestens 1837, als der deutsche Student Lepsius die kongeniale Weiterführung der Hieroglyphenentzifferung veröffentlicht hatte [5], war man sich bewusst, dass man mit der Erforschung der ägyptischen Kultur am Erwachen der Menschheit teilhaben und einen deutschen Beitrag leisten könne.

Die konstruktive Lösung der Unterbringung aller ägyptischen Altertümer deutet sich 1839 an.
Ignaz Maria von Olfers wurde zum Generaldirektor der Königlichen Museen ernannt. Er verfolgte still aber hartnäckig die Idee eines Ägyptischen Museums. Lepsius würde der Mann für eine moderne geistige Konzeption sein. Man müsste ihn nach Ägypten schicken. Er würde mit Sinn und Verstand forschen, übersetzen, ausgraben und die Berliner Bestände sinnvoll ergänzen.

Auf Anraten von Humboldt und Olfers darf Lepsius auf Kosten des preußischen Königs eine mehrjährige Expedition nach Ägypten und bis nach Nubien (= Sudan) und Äthiopien unternehmen: 1842 - 1845.

In der Zwischenzeit wurde 1843 in Berlin der Grundstein zu einem neuen Museum gelegt.

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Dadurch wurde das erste königlich-preußische Museum zum Alten Museum und
das neue zum Neuen Museum!

Auch die Architektur war in kreativer Phase. Der Spätklassizismus war so ausgereift, dass er über alle technischen Mittel zu einer spektakulären Synthese von Bau, Innenausstattung und Ausstellungsstücken in der Lage war. Des schwierigen Baugrunds auf der Insel war man sich bewusst. Der Schinkelschüler Friedrich August Stüler bekam den Auftrag. Das Ergebnis wurde europaweit bewundert und beispielgebend für nachfolgende Museumsbauten, z. B. die Hamburger Kunsthalle. Als erstes zogen 1850 die ägyptischen Funde und Ankäufe in das Neue Museum ein. Bis 1855 folgten die anderen Ausstellungsgegenstände und die Einweihung. Andere Quellen sprechen von 1856 als Eröffnungsjahr. Die Bauzeit betrug also um die 12 Jahre. Man empfand das als lange und führte dies auf die Verzögerungen durch die Märzrevolution 1848 zurück. Die Bauherrenschaft war mittlerweile an den Sohn von Friedrich Wilhelm III. übergegangen, seinen Ältesten, Friedrich Wilhelm IV.

Großzügig wurde gebaut. Das Neue Museum wurde der erste dreigeschossige Museumsbau der Welt! Es galt als Museumsprojekt Menschheitsgeschichte! Weil es die ägyptischen Altertümer als Vorläufer der Menschheitsgeschichte im Zusammenhang mit griechischen, römischen und eigenen, sogenannten vaterländischen, Ausstellungsstücken zeigen wollte, wurde es nicht Ägyptisches Museum genannt. So blieb es bei dem - leider bis heute nichts sagenden Namen „Neues Museum".

Hauptattraktion und gestalterisches Herzstück war unbestritten die Präsentation der ägyptischen Altertümer Lepsius durfte die künstlerische Einrichtung und Ausschmückung bestimmen und wurde Direktor und für seine erfolgreiche Hieroglyphenforschung zum ordentlichen Professor ernannt. Lepsius ist also die Verbindung zwischen Museumsdirektorat und Universitätsprofessur zu verdanken, die auch jetzt von der neuen Direktorin des Ägyptischen Museums, Frau Dr. Friedrike Seyfried, gelebt wird.

Lepsius wurde so zum Begründer der wissenschaftlichen Ägyptologie. Ihm und seinen Nachfolgern verdanken wir die „Schule der Berliner Ägyptologie". Ihr Schwerpunkt war die Schaffung des ersten Wörterbuches für Altägyptisch [6]. Noch heute wird es aktualisiert, jetzt besonders unter dem Aspekt der Digitalisierung.

 

4. Blüte und Zerstörung des Museum

Was ist das Besondere des Neuen Museums?

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Was sind speziell die innenarchitektonischen Besonderheiten des Neuen Museums?

Das völlig Neuartige war die Idee, jedem Bürger eine Besichtigung der Wurzeln der menschlichen Zivilisation bzw. Kulturgeschichte zu ermöglichen und dies ohne Vorbedingungen an seine Bildung und sein Reisevermögen. Quasi ohne Texte wurde er über die Augen in die jeweilige Kulturepoche eingeführt. Die Einheit von Raumgestaltung und Ausstellungsstücken war das Besondere. Der Besucher, gleich welchen gesellschaftlichen Standes, durfte nun einen Palast betreten, in dem ihm die Kunstschöpfungen vergangener Zeiten gezeigt wurden. Außer Originalen bediente man sich auch guter Kopien, damit ein ganzheitlicher Eindruck entstehen konnte.

Stüler beschreibt die Leitlinien für die dekorative Gestaltung: „ Es erschien als angemessen, die Räume in größtmöglicher Harmonie mit den aufzustellenden Gegenständen zu halten." Daher sorgte er an den Wänden für stilgerecht gemalte Sockel in Höhe der Podeste und Vitrinen, darauf folgte ein mittlerer Wandbereich mit ungemustertem Stuckanstrich, der gut zur dargestellten Epoche passte. In der oberen Wandzone wurden aussagekräftige Wandbilder angebracht.

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Im Falle der ägyptischen Ausstellungsstücke handelte es sich um naturgetreue Landschaftsbilder aus Ägypten mit den neu erforschten Stätten. Basis waren Abzeichnungen, die während der Expedition von Lepsius und seinen Begleitern angefertigt worden waren. Ausnahmsweise wurden sogar ganze Deckengemälde von Gräbern angebracht und Säulen mit stilechtem Dekor gestaltet. Damit wurde ein Eindruck wiedergegeben, wie er inzwischen in Ägypten teilweise nicht mehr oder nicht mehr in der Farbenpracht [7] erhalten ist.

Die Namen der Räumlichkeiten sagen schon etwas darüber aus, was der Besucher zu sehen bekam.

In einem Gebäudeflügel wurde der Ägyptische und in dem anderen der Griechische Hof eingebaut, dazu in der Mitte - als einladende Geste - die Treppenhalle.

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Der Griechische Hof war offen, der Ägyptische Hof war überdeckt, denn er war angelegt als ägyptischer Tempel mit Peristyl (Innenhof)und Hypostyl (Säulenhalle), übergehend in das Sanktuar, dem Allerheiligsten. Und das alles mit lebendigem Tageslicht durch das spektakuläre Glasdach ganz oben. Damit war nach Lepsius' Unterlagen eine originale Tempelanlage im Drittel-Maßstab in Berlin gelungen; Vorbild war das Ramesseum in Theben-West, Ramses' II. Totentempel.

Des Weiteren gab es bei den Ägyptern den Mythologischen Saal und den Gräbersaal.

Im Vaterländischen Saal gab es Ausgrabungsfunde aus heimatlichen bis skandinavischen Gegenden

08-vaterlaend-saalund im Mittelalterlichen Saal und Bernwardzimmer [8] Beispiele mittelalterlicher christlicher Kunst.
Im Ethnografischen Saal befanden sich die Ausstellungstücke fremder Kulturen, die später den Grundstock des Völkerkundemuseums bildeten.

09-ethnografischer-saalIm Griechischen Saal [9], Laokoonkabinett und Apollosaal wurden die überwiegend in Gipsabgüssen berühmter Skulpturen [10] repräsentierte griechische Kunst sowie im Bacchus- und Römischen Saal die römische Kunst gezeigt.

10-roemischer-saalIm Niobidensaal standen die Statuengruppe der Niobe [11] u. a. Abgüsse der Übergangszeit von der griechischen zur römischen Kunst. Besonders wertvoll waren stets die Wandbilder, hier 17 Ansichten römischer Städte und Landschaften mit Rekonstruktionen römischer Architektur.

11niobiden-saalDer Moderne Saal bildete den Abschluss der Gipssammlungen mit Skulpturen aus der Zeit der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert. Er hatte eine flache Decke, die von sechs Bogenstellungen mit je zwei ionischen Säulen getragen wurde.

12-moderner-saalIm zweiten Obergeschoss befanden sich das Kupferstichkabinett und die Kunstkammer [12] Außerdem hatten hier der Direktor und die Museumsangestellten ihre Arbeitsräume.

Die folgenden Jahre brachten Veränderungen, die sich aus der sich weiter spezialisierenden Museumslandschaft Berlins ergaben. Darauf kann hier nicht eingegangen werden. Eine Veränderung muss jedoch erwähnt werden, da sie sich auf das bald spektakulärste Ausstellungsstück bezog. Als nämlich Wolfgang Borchardt 1912 die berühmten Funde in Amarna / Mittelägypten gemacht hatte, zu denen auch die bunte Büste der Nofretete gehörte, fand sich dafür kein freier Platz mehr. Man zog extra in den griechischen Hof ein Zwischengeschoss ein und konnte dann dort ab 1924 die Amarna-Funde ausstellen.

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Hinsichtlich der inneren Konzeption muss noch auf zwei wichtige Fakten verwiesen werden:

  1. auf die eigenständige Rolle, die das große zentrale Treppenhaus spielte und
  2. die bautechnischen Neuerungen im Haus.

Da diese Fakten bei der Wiederherstellung des Hauses nach seiner Ruinenzeit im wesent-lichen verdorben worden sind, werden sie in der kritischen Betrachtung ausführlicher behandelt.

Das Treppenhaus war eines Palastes würdig. Es erstreckte sich über alle Etagen bis zum Dachfirst. Von zentraler Wirkung war die Treppenanlage aus Marmor mit vergoldetem Geländer, an deren Ende sich eine - offensichtlich in Originalgröße - gearbeitete Nachbildung der Korenhalle des Akropolis von Athen erhob. Sie wirkte wie ein edler Fensterrahmen für das riesige, Tageslicht gebende Fenster dahinter. Das Dach zeigte sich innen als offener Dachstuhl mit doppeltem Hängewerk und vergoldeten mythischen Tierfiguren, die den griechisch-römischen Wurzeln des Klassizismus entsprachen.

Interessante technische Neuerung waren die erstmalige Verwendung von Rabitzwänden und von Unterzugskonstruktionen, den so genannten Bogensehnenbindern. Diese bestanden aus gusseisernen Bögen und schmiedeeisernen Sehnenpaaren. Diese kluge Kombination des formbaren Gusseisens mit dem zugfesten Schmiedeeisen war eine technische Meisterleistung. von August Borsig [13]. Im Niobidensaal ist diese dekorierte Eisenkonstruktion noch zu bewundern!

Eine Besonderheit in einigen Sälen sind die flach gewölbten Decken. Sie bestehen aus Tontöpfen. Um mit wenig Holzbalken und Massivstützen auszukommen, mussten die Decken leicht sein. Die Tontöpfe haben eine mit Luft gefüllte Struktur und ergaben die flach gewölbten Decken, die verputzt und dekoriert werden konnten.
Eine weitere Meisterleistung das riesige Glasdach des Ägyptischen Hofes von 380 m².

An dieser Sehenswürdigkeit in Berlin konnte man sich über die Kaiserzeit und bis in die Weimarer Republik erfreuen. Besonderen Besucherandrang löste letztlich die Präsentation der bunten Büste aus, besser bekannt als „die Nofretete", inzwischen das berühmteste Kunstwerk Berlins.

Dann zogen Kriegswolken auf. 1939 wurde das Museum geschlossen und mit der Auslagerung bzw. Verbarrikadierung der Kunstwerke begonnen. Die Vorsorge, die vorschnell wirkte, war berechtigt, denn in der Nacht vom 25. zum 26. August 1940 fielen die ersten Bomben auf Berlin. 1943 wurde das Neue Museum durch eine englische Brandbombe getroffen und 1945 durch eine Sprengbombe. Das Treppenhaus brannte aus. Der großartige Wandfries zur Weltgeschichte von Wilhelm von Kaulbach, sein Lebenswerk, wurde zerstört.
Weitere Totalverluste sind der Nordwestflügel (mit dem Historischen Saal, dem Griechischen Saal und dem Apollosaal) und der Südkuppelsaal (mit dem Übergang zum Alten Museum). Gleichwohl blieb eine Seite des Ägyptischen Hofes erhalten!

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5. Umstrittener Wiederaufbau in Pro und Kontra

In der Nachkriegszeit war man sich von Anfang einig, dass das Museum wieder aufgebaut wird. Das besagt u. a. eine Meldung der Illustrierten Rundschau von 1949 [14].

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Dann allerdings begann der ideologische Kampf pro und kontra. Zumindest wurde das Gebäude immer weiter auf der Rangliste des Wiederaufbaus im damaligen Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR - wozu die Museumsinsel gehörte - zurückgeschoben.

Beide geteilten Stadthälften bemühten sich, aus den Kunstwerken, die sich auf ihrem Territorium fanden, eigene Teilmuseen zu formen. So richtete der Magistrat von Berlin-Ost sein Ägyptisches Museum 1953 im Bodemuseum ein und der Senat von Berlin-West seine selbstständige Ägyptische Abteilung 1962 im Stülerbau gegenüber dem Schloss Charlottenburg [15].

Endlich im Fünfjahrplan 1986-1990 gab es in der DDR den Ministerratsbeschluss zum Wiederaufbau des alten richtigen, aber ruinösen Ägyptischen Museums. Bis dahin hatte sich die Ruine bei Wind und Wetter in ein „Dornröschenschloss" verwandelt, von dessen Existenz kaum noch einer sprach. Die Zeitzeugen seiner Pracht waren immer weniger geworden. Es gab aber sichergestellte Relikte, Fotos und vor allem die Originalbaupläne! So stand trotz des traurigen Anblicks einer Wiedererweckung nichts wirklich entgegen.

Dann gab es die große Wende durch die friedliche Revolution der DDR-Bürger. Mit dem vielen Guten kam aber leider für das Neue Museum die Zeit der - nun auch wieder - ideologischen Auseinandersetzung.

Nach den phänomenalen Rekonstruktionserfolgen auf der Museumsinsel, bei der Nationalgalerie und dem Bodemuseum, die zu alter Schönheit mit dezenter Modernisierung zurückgebracht wurden, schafften es Verschworene nach unsäglichen Machenschaften, dass alle angefangene Arbeit gestoppt wurde und erst einmal ein Wettbewerb zum Gestaltungskonzept ausgeschrieben wurde: ein internationaler Architekten-Wettbewerb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als der neuen Bauherrin. Indem sich der Wettbewerb an Architekten wandte und nicht einfach Aufträge an Fachfirmen vergeben wurden, war das Dilemma vorprogrammiert: Geld- und Zeitverschwendung für Eitelkeiten von Architekten, die nichts mit Stüler aber viel mit Modernitätswahn im Sinn hatten. Im Englischen bedeutet reconstruction leider nichts Genaues! Es kann sich um Sanierung, Umbau, Neubau, Wiederinstandsetzung und Wiederaufbau handeln! Folgerichtig titelte schon 1994 eine Zeitschrift „Zeichen der Zerstörung bewahren" [16]. Es meldeten sich Modernisten wie Georgio Grassi und Frank Gehry.

Nach mächtigen Protesten gegen deren zerstörerische Pläne erschien letzten Endes der unbekannte Bewerber David Chipperfield als Erlösung. Er bekannte sich klar zur Wiederherstellung in den alten Raummaßen. Allerdings sprach auch er nur von reconstruction ...! Keiner außerhalb eines gewissen Führungskreises konnte sich zunächst vorstellen, dass unter Wiederherstellung nicht die originale - also denkmalgerechte - Wiederherstellung gemeint sein könnte. Anders der Führungskreis, zu dem das Landesdenkmalamt Berlin (Leiter Dr. Jörg Haspel als Landeskonservator), das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung [17] (Präsident Dr. Florian Mausbach), die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Präsident Klaus-Dieter Lehmann), die Staatlichen Museen zu Berlin (Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, Direktor des Ägyptischen Museums Dr. Dietrich Wildung,) und die Theoretiker von der Technischen Universität Berlin (u. a. Kunsthistoriker Dr. Wolfgang Wolters) gehörten bzw. gehören.

Der vertrauensselige Irrtum gegenüber den Bürgern wurde offenbar, als der berühmt-berüchtigte 1. Entwurf von Chipperfield die Runde machte und die fabelhafte Treppenhalle Stülers als schier unendlichen, unverputzten Kohlenkeller mit einer hellen, hinein gestellten Betontreppe zeigte.

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Wer etwas genauer hinschaute, wurde auch gewahr, dass Stülers wunderbarer offener Dachstuhl mit den vergoldeten Dachbindern zu einer dunklen schweren Balkendecke mutiert war.

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Selbst da beruhigten sich noch die Verfechter der originalen Wiederherstellung mit der Annahme, dass es sich nur um ein vereinfachtes Modell handeln könnte.

Aber das Misstrauen war geweckt und die Gesellschaft Historisches Berlin (GHB) begann mit der Recherche zum Originalbau, mit der Suche nach dem Verbleib der Relikte und der Kontaktaufnahme zu Kunsthistorikern, die sich für die originale Wiederherstellung kriegszerstörter Werke der Baukunst einsetzen. Dabei stießen die Vereinsmitglieder, unter denen auch fachkundige Kunsthistoriker, Architekten und Bautechniker sind, auf das Problem der internationalen Verflechtung, auf das ich noch nicht eingegangen bin und hier nur kurz anreißen kann. Es geht um die Aufnahme der gesamten Museumsinsel als Weltkulturerbe in UNESCO-Obhut. Diese Aufnahme wurde 1998 vom Eigentümer, dem Land Berlin, vertreten durch den Senat, Ressort Stadtentwicklung, beantragt und 1999 als Nummer 896 durch die UNESCO bewilligt. Dabei wurde ausdrücklich von dem Wert der Museumsinsel als Ensemble gesprochen, das in rund 100 Jahren entstanden und seit 1930 als completed, (vollendet/fertig) anzusehen ist.

 

6. Verstoß gegen Weltkulturerbestatus

Die GHB argwöhnte zu Recht, dass es um den Wiederaufbau schlecht bestellt ist, nicht aus finanziellen, sondern ideologischen Gründen - nämlich dem Verbot des originalen Wiedererstehens des Bauwerks. Die Ruine des 19. Jahrhunderts wurde wie ein archäologisches Ausgrabungsobjekt behandelt und sogar Witterungsschäden als denkmalwürdig erklärt.

Die Mitglieder der GHB stellten in ihren Recherchen seit 1994 forcierten Recherchen viele Verstöße gegen den Welterbestatus fest. Diese sind so gravierend, dass als letztes Mittel nur die Beantragung der Roten Liste für gefährdete Kulturgüter bleibt. Dieser Antrag wurde erstmalig von einer Privatperson im November 2004 gestellt, bekräftigt im November 2006 und in aller Form durch die GHB im Oktober 2008. Das geschah nach einer Stufenleiter gescheiterter Bürgerproteste, die allesamt abgewiesen worden waren. Am Erschütterndsten für unsere Demokratie ist der Fakt, dass eine Petition an den Bundestag mit 14.145 Unterschriften, alle ehrenamtlich nach Aufklärung und Argumentation von Bürgern gesammelt, nichts bewirkt hat. Am 16. März 2006 wurde sie übergeben, am 28. Mai 2009 vom Deutschen Bundestag abschließend behandelt und das Ergebnis mit Schreiben vom 17. Juni 2009 mitgeteilt! Das unbefriedigende Ergebnis lautet:
Man empfiehlt 1. „Die Petition der Bundesregierung - dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien - zu überweisen, soweit sie Anregungen im Hinblick auf die Gestaltung des Neuen Museums enthält, 2. das Petitionsverfahren abzuschließen.

Diese Petitionsanstrengung war eingebettet in viele Aktionen vorher und nachher:

Wenn man sich überlegt, dass 1986 endlich mit dem Wiederaufbau begonnen worden war und im Oktober 2009 der Bau der Öffentlichkeit übergeben wird, dann sind darüber 23 Jahre vergangen - gegenüber einer Bauzeit von Grundsteinlegung bis Einweihung des Originalbaus von 12 Jahren! Für die intelligente Pracht brauchte man in Preußen 12 Jahre, für die spartanische Wiedernutzbarmachung im vereinigten Deutschland brauchte man 23 Jahre!

Bei aller Freude über die Wiedergewinnung der Ruine als Heimstatt des berühmten Berliner Ägyptischen Museums, muss auf folgende Restaurierungsverstöße hingewiesen werden, die gleichzeitig ein Verstoß gegen den Weltkulturerbstatus darstellen:

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Insgesamt entsteht ein Eindruck von seltsamer Unfertigkeit. Die Idee, die dem ganzen Museum zugrunde lag3, wurde negiert, obwohl sie Denkmalbestandteil ist.

Das FEST, von dem eingangs die Rede war, ist also 1939 zu Ende gewesen. Für die nachfolgende Zeit gab es verschleiernde Ausdrücke wie „Dornröschenschloss" und „Ruinenschön". Nun, nach 70 Jahren, bekommen wir das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern vorgeführt.

Das nächste Ungemach ist in Vorbereitung: Einsetzung eines proportionsgestörten Neubaus4 auf die idyllische Uferzone vor dem Neuen Museum, d. h. vor die Schauseite vom Kupfergraben! Der Entwurf dafür ist geprägt von unproportionalen Maßverhältnissen und falschen „Kolonnaden".

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Fazit

Als Fazit bleibt mir heute nur noch festzustellen, dass König Friedrich Wilhelm IV. etwas vom Schicksal des Gebäudes geahnt haben muss, als er die Giebelinschrift anbringen ließ:

ARTEM NON ODIT NISI IGNARUS
Die Kunst hasst nur der Unkundige

 

Quellenempfehlung:

 

Fußnoten:

[1] Etwa zeitgleich mit der Glyptothek in München von Klenze, Bauzeit 1816-1830; Altes Museum von Schinkel Bauzeit 1824-1830, beide Häuser neben dem noch älteren Fridericianum in Kassel sind die ältesten öffentlichen Museen in Deutschland; Eremitage auch von Klenze 1840-52, Grundstein Neues Museum in Berlin 1843.

[2] Anders als in Preußen von Anbeginn als Palast angelegt; Maler war Peter Cornelius, in Berlin malte die Fresken Wilhelm von Kaulbach, sein Lebenswerk.

[3] Geschenk für die königliche Kunstkammer vom preußischen Gesandten in Konstantinopel, General von Knobelsdorf.

[4] 1769 - 1859, 1799 - 1804 Reisen nach Amerika, Hauptwerk „Kosmos" 1845-62.

[5] 1837 überraschte ein junger Sprachenthusiast die Öffentlichkeit mit dem „Lettre á Mr. Rosellini sur l'alphabet hieroglyphique". Karl Richard Lepsius, geboren 1810 in Naumburg, gestorben 1884 in Berlin, war Sohn eines Historikers. Er selbst wurde Student im ähnlichen Umfeld. Seine Studienorte waren Leipzig, Berlin, Paris und Rom. Bereits 1834 war seine „Paläographie als Mittel für die Sprachforschung" erschienen. Ihm wurde der Ruhm eines „Vollenders der Entzifferung der Hieroglyphen und Begründers der wissenschaftlichen Ägyptologie" zuteil. Aus dem Verständnis der Inschriften und Papyri ergaben sich erstmals Grundzüge der Chronologie. 1849 erschien in Berlin sein 1. Band der „Chronologie der Ägypter" und 1858 das „Königsbuch der alten Ägypter".

[6] 1897 wurde von Kaiser Wilhelm II. das Wörterbuchprojekt mit 70.000 Reichsmark finanziert; Adolf Erman (1854 - 1937) ist es zu verdanken, dass dieses Projekt international angelegt wurde und mehr als 60 Gelehrte aus allen Ägyptologie treibenden Nationen verband.

[7] Über Lepsius' Wandbilder gibt es in der Kunstbibliothek Berlin alte Bücher, die so wertvoll sind, dass sie nicht kopiert werden dürfen.

[8] Heiliger Bernward, Bischof von Hildesheim unter Kaiser Otto III. und seiner Frau Theophanou aus Byzanz im
9./10.Jh.

[9] Dort erhaltene Rabitzwände als damals technische Neuhei.

[10] Z. B. Laokoon und seine Kinder im Kampf mit den Schlangen, Apollo von Belvedere und der Farnesische Stier.

[11] Sage von Niobe und ihren 14 Kindern, die aus Neid von Apollo und Diana getötet werden.

[12] Die Kunstkammer enthielt Raritäten aus dem Mittelalter und der neueren Zeit.

[13] 1837 hatte August Borsig seine Eisengießerei und Maschinenbauanstalt in der Berliner Chausseestraße nahe dem Oranienburger Tor errichtet.

[14] Nr. 16 v. 2. August 1949

[15] Das berühmteste Stück, die bunte Büste der Nofretete, war, zusammen mit Funden aus Amarna, von den
Westalliierten 1956 nach Berlin-West gegeben worden (aus Kunstgutlager Wiesbaden), wonach sie zunächst in der Gemäldegalerie Dahlem in Berlin-West ausgestellt wurde.

[16] Siehe „Playdoyer zur ergänzenden Wiederherstellung" in „Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, 1994, Heft 1.

[17] Seit 1. Jan. 2009 durch Zusammenlegung mit dem Berliner Institut für Städtebau zum BBSR umbenannt.

[18] School of Architecture, University of Texas at Arlington.

[19] Heroenbild: „Herkules bezwingt die goldbekrönte Hirschkuh von Kerynea", weitere dargestellte Heroen: Bellerophon, Perseus, Theseus.

[20] Aufzeigen des Gangs der Weltgeschichte vom Altertum zur höheren Zivilisation der Neuzeit, vom heidnischen Despoten zum christlichen Kaiser.

[21] Finanziert vom Staat mit 73 Mio. €, was relativ viel für einen nicht ausdiskutierten Entwurf ist; Geld, das für die historische Fassade des wieder aufzubauenden Berliner Stadtschlosses (80 Mio. €) angeblich nicht vorhanden ist.